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Archiv-Artikel

Bislang nur eine Rede des Bundeskanzlers

Nach dem Ja der SPD zur Agenda 2010 lehnen die Berliner Grünen-Bundestagsabgeordneten Ströbele und Schulzeine sofortige Zustimmung in Ermangelung eines Gesetzentwurfs ab. Wirtschaftsverbände fordern weitere Schritte

Die Agenda 2010, seit dem SPD-Sonderparteitag am Sonntag nicht nur Reformidee von Gerhard Schröder, sondern offizielle sozialdemokratische Politik, stößt in Berlin auf geteiltes Echo. Zwei der vier hiesigen grünen Bundestagsabgeordnete lehnen es ab, sie bereits jetzt ohne Gesetzesvorlage gutzuheißen. Kritik kommt zudem von PDS-Wirtschaftssenator Harald Wolf und Attac. Leichtes Lob äußern hingegen Unternehmensverbände und die Industrie und Handelskammer, die aber weitere Schritte fordern.

„Bislang haben wir hier nur eine Rede des Bundeskanzlers und mehr nicht“, sagte der Kreuzberger Bundestagsabgeordnete und Fraktionsvize Christian Ströbele. „Ich kenne noch keine Gesetzentwürfe.“ Seine Stellvertreterkollegin Thea Dückert hatte zuvor den Eindruck erweckt, die Fraktion stehe geschlossen hinter den Reformvorschlägen: Keiner aus der Fraktion habe „an irgendeiner Stelle angekündigt“, die Agenda nicht zu unterstützen, sagte sie im Südwestrundfunk.

Ähnlich wie der Parteilinke Ströbele äußerte sich der Pankower Abgeordnete Werner Schulz: „Jede Entscheidung ist erst möglich, wenn ich die Gesetzentwürfe kenne.“ Ströbele will mit weiteren Abgeordneten beim Grünen-Sonderparteitag am 14./15. Juni in Cottbus Änderungsanträge vorlegen. Sie sollen Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer und den Spitzensteuersatz betreffen. Ströbele deutete Kompromissbereitschaft an: „Wichtig ist das Gesamtpaket.“

Franziska Eichstädt-Bohlig aus Charlottenburg-Wilmersdorf hingegen stellte sich, bis auf kleinere Änderungen, schon jetzt hinter die Agenda. Sie hoffe und erwarte, dass die Fraktion geschlossen zustimmt. Zugleich räumte sie ein: „Es bedarf schon noch einiger Diskussionen.“

Wirtschaftssenator Wolf (PDS) kritisierte an der Agenda 2010 jene „soziale Schieflage“, die bereits in der SPD für Unmut sorgte: Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau und Krankengeld, das allein Arbeitnehmer schultern sollen. Arbeitsmarktpolitisch machte er Lücken aus: „Zur Frage, wie ein Schub für Wirtschaft und Beschäftigung ausgelöst werden könnte, nimmt die Agenda nicht wirklich Stellung.“

Bei den Globalisierungskritikern von Attac sieht Sprecher Birger Scholz in der SPD-Agenda einen „irrsinnigen“ Sparkurs, der die Wirtschaft weiter schwächen werde. „Die Berlin-Krise wird sich weiter zuspitzen“, sagte Scholz. Der Protest dagegen bringe Gruppen wie Attac, Einzelgewerkschaften und andere „bis hin zu linksradikalen Kräften“ zu einem Bündnis zusammen.

Bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) erwartet man zwar keine unmittelbaren Auswirkungen der Agenda auf den Berliner Arbeitsmarkt und Neueinstellungen. Vizehauptgeschäftsführer Roland Engels sah jedoch ein „psychologisches Moment“, weil sich etwas bewege: „Das kann dann eventuell Sperren in den Köpfen lösen.“ Insgesamt betrachtet die IHK die Agenda als Signal und Minimalkonzept, das fortzusetzen sei.

Der Präsident der Handwerkskammer Berlin, Stephan Schwarz, lobte, „dass nun mit der längst überfälligen Reform der Sozialversicherungssysteme begonnen werden kann“. Die geplante Abschaffung des Meisterbriefs lehnte er aber ab, da sie das Handwerk schwäche.

Bei der Vereinigung der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg begrüßte ihr Sprecher Thorsten Elsholtz die Agenda als „erste Etappe“, forderte aber zugleich weitere Schritte. Berechnungen oder Prognosen für die Auswirkungen auf Berlin liegen dem UVB genauso wenig vor wie der IHK. „Das runterzubrechen, halte ich gegenwärtig für zu früh“, sagte Elsholtz. „Umso mehr, weil abzuwarten bleibt, was abschließend im Gesetz steht.“ STEFAN ALBERTI