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Archiv-Artikel

Flieg, Faltenarschmatrose, flieg!

Makaber? Geschmacklos? Dumm? Wenn Flugzeugwracks auf der Bühne stehen und Musiker sich als Flugkapitän und Stewardessen verkleiden, ist das nach dem 11. September äußerst verdächtig. Und das Unbehagen ist womöglich beabsichtigt: „Kommando Sonne-nmilch“ in der Fabrik

von Markus Flohr

Mit Flugzeugen ist es seit dem 11. September 2001 so eine Sache. Tauchen sie unverhofft über oder unter den Wolken auf, kommen sie womöglich näher, nehmen auch eher besonnene Zeitgenossen manchmal hysterisch Reißaus. Und das ist gar nicht mal unverständlich. Für unzählige Grundschulkinder hagelte es seit jenem Datum Schulverweise für die falsche Form ihrer Wurfgeschosse während der Mathestunde. Das ist eher unsinnig. Pfiffige TherapeutInnen machten sich kurzerhand zu ExpertInnen für „Aviophobie“, vulgo Flugangst, und verzeichnen horrende Zuwächse in den Kundenkarteien. Das ist geschickt.

Die schweren Stahlvögel sind jedenfalls seitdem ein gebrochenes Symbol, Airlines fliegen tiefrote Defizite ein, Witze mit und über flatternde Maschinen zu machen ist mit Recht ein Tabu. Und ein Bild der Überreste eines Airbus‘, einer Boeing oder Chessna erzählt nun eine Furcht erregende Wahrheit mehr. Für das Kommando Sonne-nmilch, eine sieben Nasen zählende Rockband aus Hamburg, schien all das Ansporn und nicht Hindernis, Flugzeugwrackteile als Bühnendeko mit auf die aktuelle Tour zu nehmen und darunter Songs wie „10ter September“ zu spielen: „Gelassenheit ist kräftig / Wir liegen jetzt im Gras / Haben beide frei / Und alles lässt sich Zeit. / Es war ein guter Tag / Der 10te September“. Als zwei Kapitäne, zwei Stewardessen, zwei Stewards und ein Mechaniker stellen sie sich vor, mit Blut und Asche um die Augen und Namen wie „A. Brausehold“, „T. Popouwitszu“ oder „M. Zaro“.

Ist das makaber? Geschmacklos? Schamlos? Dumm? Oder was? Wer den ersten Spuren folgt und sich in den havarierten Songbruchteilen des aktuellen Kommando-Longplayers Der Specht baut keine Häuser mehr auf die Suche nach Überlebenden macht, wird schnell fündig. Um das Fliegen, Flugzeuge, auch den 11. September geht es immer mal wieder in verschiedenen Passagen, wobei so etwas wie Klarheit im Song „Steilwand“ durchaus in Rufweite scheint: „Es gab ne große Menge, viele Leute / Waren froh dass Wecker laut geklingelt hat / Von den Flugschülern aus dem nahen Osten / Die da wirklich falsch gelandet sind“.

Mit den nächsten Zeilen ist der kurzzeitig angefallene Sinn aber dahin. Sonne-nmilch-Oberstimmmechaniker Jens Rachut („B. Schlauch“), der so viele Hamburger Punk-Legenden-Combos mit hat aufsteigen und niederrasseln sehen wie kein Zweiter, bemerkt: „Ich schieß so gern auf weiße Schafe / Und weiß auch, dass es keinem gefällt / Ich mag auch keine Parks in den Städten / Keine Hausmeister“.

Alles klar? Nein? Mehr? Wie wär‘s hiermit: „Stimmung gut / Den Weg vor Augen zu sehen / Du lachst dabei / Und sprengst den nächsten Wohnblock“ – aus dem Song „V 200“.

Begleitet wird solch exquisite Dada-Prosa von elektroclashigem Hörspielpunk, einem Soundtrack also irgendwo zwischen Bibi Blocksberg, Drei Fragezeichen, den Einstürzenden Neubauten und Slime. Deren Schlagzeuger Stephan Maler („S. Peter Streicher“) bedient passenderweise auch hier die Drums. Außerdem an Bord sind Musikerinnen und Musiker, die sonst bei Die Goldenen Zitronen, Die Sterne, Stereo Total und Oma Hans die Routen planen.

Was das alles soll oder will, wird nicht beantwortet. Der ganze Flugzeug-Kram könnte vielleicht eine Parabel auf das Scheitern eines Ideals sein, das einmal hoch am Himmel stand und nun zertrümmert am Boden liegt – der Punkrock, die Weltrevolution: ein ferngesteuerter Spielzeugjäger. Oder es geht um Desillusionierung im Allgemeinen, die Entzauberung des Alltags durch die moderne Technik, auch Flugzeuge, den ambivalenten Fortschritt oder -flug, der Menschen sicher in der Zeit eines halben Tages nach Australien oder in den Tod befördert. Denn wie heißt es in „Traust dich nicht“: „Hände winken / Menschen schreien / Mal verneinend / Feuern an / Flieg doch mal / Traust dich nicht / flieg doch mal“. Könnte alles so gemeint sein. Könnte. Vielleicht geht es aber auch doch nur um Aviophobie.

Mit Titeln wie „Brillenträgerschlange – Faltenarschmatrose – Vergesslichkeitskaiser – Trombosenkrebskollekte – Zukunftsangstbesitzer“ charakterisieren sie sich und ihr aktuelles Projekt im Song „Faltenaffe“ vielleicht selbst – ein Highlight des gegenkulturellen Konzertfrühlings sind sie auf jeden Fall, wenn sie die Parole ausgeben: „Da hilft kein Schrein / da hilft keine Creme / man muss der Scheiße ins Auge sehen“. Dazu ist jetzt ausgiebig Gelegenheit.

Hannover: Sonntag, 11. April, 21 Uhr, Café Glocksee; Hamburg: Montag, 12. April, 21 Uhr, Fabrik