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Archiv-Artikel

letzte ausfahrt brooklyn New York und seine drakonischen Antidrogengesetze

Nur die Pleite bringt Hoffnung

Es ist eine ungewöhnliche Koalition, die sich in den vergangenen Wochen unter dem Namen „Countdown To Fairness“ zusammengefunden hat. An den Anblick der Schauspielerin Susan Sarandon und ihres Ehemanns Tim Robbins hat man sich ja schon gewöhnt, wenn sich New Yorker zusammenfinden, die das Gute in der Welt befördern wollen. Dass sich aber der ehemalige amerikanische Bauminister Andrew Cuomo auf Betreiben des HipHop-Moguls Russell Simmons zusammen mit der einigermaßen fundamentalistischen Nation of Islam in einer Gruppe wiederfindet und auch Sean „P Diddy“ Combs mit von der Partie ist, das verwundert doch etwas.

„Countdown To Fairness“ fordert die Politiker des Staates New York auf, sich bis zum heutigen 4. Juni zusammenzuraufen und die Rockefeller Laws abzuschaffen, jene drakonischen Antidrogengesetze, die für den reinen Besitz von oder den Handel mit kleinen Mengen harter Drogen unabhängig von allen Umständen Mindeststrafen von bis zu 15 Jahren Gefängnis vorsehen.

Dreißig Jahre ist es her, dass der damalige Gouverneur Nelson D. Rockefeller – ein konservativer Republikaner, der 1971 auch für die Niederschlagung der Gefängnisrevolte von Attica verantwortlich war, bei der 39 Menschen starben – diese Gesetze verabschieden ließ, die seitdem von den meisten anderen Bundesstaaten übernommen worden sind und bis heute gelten. Eine „Einsperren und den Schlüssel wegwerfen“-Politik nannte Rockefeller das Gesetz damals in der Hoffnung, das Image, hart gegen Verbrecher vorzugehen, werde ihm den Weg ins Weiße Haus ebnen.

Daraus wurde zwar nichts, die Zahl der Gefängnisinsassen im Staat New York hat sich aber seitdem von 12.500 auf rund 69.000 im vergangenen Jahr mehr als verfünffacht. Nicht ausschließlich, aber vor allem wegen der Antidrogengesetze. Das Problem, das das Gesetz zu lösen versprach – ausufernder Drogenkonsum –, hat sich nicht verflüchtigt. Der Preis, den vor allem die schwarzen und hispanischen Communities zahlen, ist enorm: 95 Prozent der unter den Rockefeller Laws Verurteilten sind Afroamerikaner oder Hispanics, jeder zehnte männliche Schwarze zwischen 20 und 39 sitzt im Gefängnis.

Das Gesetz war schon damals umstritten, und seinen ursprünglichen Plan, jeden Drogendealer bedingungslos für den Rest seines Lebens einsperren zu lassen, konnte Rockefeller nicht durchsetzen. Auch wurde 1979 Marihuana aus der Liste der Drogen gestrichen, für deren Besitz oder Handel die Rockefeller Laws angewendet werden. Doch seitdem hat sich nichts mehr getan.

Zwar wird mit zunehmender Heftigkeit über den Sinn der Gesetze gestritten, doch es sind Diskussionen, die vor allem an den Film „Täglich grüßt das Murmeltier“ erinnern, in dem ein Fernsehreporter wieder und wieder den gleichen Tag durchleben muss. Alle paar Monate flammen sie auf, die immergleichen Argumente werden ausgetauscht, alle sind sich einig, dass etwas passieren muss, und das Ganze wird wieder zu den Akten gelegt. Nichts passiert, die Gesetze bleiben, es werden weiter drakonische Strafen für harmlose Vergehen verhängt, die Zahl der Gefängnisinsassen bleibt weiter astrononisch hoch (in den USA spricht man von der „prison population“, als würden die Gefängnisse einen eigenen Bundesstaat bilden, zwei Millionen Häftlinge gibt es insgesamt).

Als der Republikaner George Pataki 1994 zum Gouverneur des Staates New York gewählt wurde, versprach er im Wahlkampf, die Antidrogengesetze entschärfen zu wollen. Eine Position, von der er seitdem nicht mehr abgerückt ist, allerdings ohne das Versprechen jemals einzulösen. Viele Richter sind gegen die Gesetze, Douglas Bradley, der republikanische Abgeordnete, der den Gesetzesvorschlag vor dreißig Jahren in den Senat des Staates New York einbrachte, hat sich vor einigen Jahren öffentlichkeitswirksam gegen das Gesetz ausgesprochen, die Bürgerrechtsorganisationen lehnen es ab, aber auch die überwältigende Mehrheit der New Yorker selbst.

Das letzte Mal verhandelten Pataki und der mehrheitlich demokratische New Yorker Senat vor einem Jahr aneinander vorbei: Der Senat wollte die Mindeststrafen für den Besitz und Handel von kleinen Mengen Heroin und Kokain halbieren, außerdem sollte das Gesetz nachträglich gelten, sodass viele Gefangene hätten freigelassen werden können. Pataki wollte die Strafen weit weniger stark absenken und nachträglich sollte das nur im Ausnahmefall gelten. Entschieden wurde nichts, die Gesetze gelten weiter.

Doch auch wenn „Countdown To Fairness“ das gleiche Schicksal beschieden sein sollte, das bisher allen Initiativen zur Abschaffung oder Milderung der Rockefeller Laws zuteil wurde, nämlich gewürdigt und vergessen zu werden – die Anzeichen mehren sich, dass sich an diesem Zustand demnächst etwas etwas ändern könnte. Ausgerechnet eines der randständigsten Argumente gegen die Gesetze hat nun ungeahnte Macht bekommen: Es kostet schlicht und einfach eine riesige Menge Geld, so viele Menschen einzusperren. Rund 600 Millionen Dollar könnten durch eine Abschaffung der Rockefeller Laws eingespart werden. Viel Geld für eine Stadt, die so pleite ist, dass sogar Feuerwehrwachen geschlossen werden müssen, weil sie nicht mehr bezahlt werden können. TOBIAS RAPP