In Europas Osten locken neue Steuerparadiese

Die EU-Beitrittsländer bieten Billigsteuersätze für Unternehmen – und zeigen so Kurzsichtigkeit. Auf Dauer kann sich Europa kein Dumping leisten

von HERMANNUS PFEIFFER

Mit der Osterweiterung der Europäischen Union wird der internationale Steuerwettbewerb deutlich aggressiver: Einige der Beitrittsländer versuchen – oft schon erfolgreich – westliche Unternehmen mit Dumpingsätzen bei der Gewinnbesteuerung anzuziehen, Estland verzichtet sogar ganz auf Abgaben auf Unternehmenserträge – auch wenn jetzt schon absehbar ist, dass das Osteuropa auf Dauer teuer zu stehen kommen kann.

Das aktuelle Steuerdumping ist allerdings keine neue, osteuropäische Spezialität. So schraubte die Schweiz ihren Unternehmensteuersatz 2003 um einen halben Prozentpunkt, Belgien den seinen sogar von über 40 auf 34 Prozent zurück, das Steuerfluchtparadies Irland antwortete mit einer Absenkung seines ohnehin niedrigen 16-Prozent-Satzes auf nur noch 12,5 Prozent. „Fast alle Staaten haben ihre Körperschaftsteuersätze angesichts des internationalen Wettbewerbs im Laufe der letzten Jahre zum Teil drastisch gesenkt“, bestätigt das Bundesfinanzministerium.

Estland in Poleposition

Die EU-Neulinge kommen nun aber ab dem 1. Mai besonders günstig daher. Dort ist der Gewinnsteuersatz für Unternehmen schon jetzt deutlich geringer als in der alten Union – und einige von ihnen feiern die neue Mitgliedschaft mit weiteren Senkungen. Die Tschechische Republik plant, den Steuersatz von 31 auf 24 Prozent zu drücken, Polen und die Slowakei wollen auf 19 Prozent runter. Lettland genügen bereits heute 19 Prozent, Ungarn kommt mit mageren 18 Prozent aus, Litauen und Zypern verlangen sogar nur 15 Prozent. Die unumstrittene Poleposition hält allerdings Estland: Das Land verzichtet komplett auf eine Besteuerung von Profiten.

Was diese Zahlen genau aussagen, ist nicht ganz so einfach zu ermitteln. Schließlich geben sie nur die nominalen Steuersätze wieder, nicht jedoch die Bemessungsgrundlage, auf die diese überhaupt erhoben werden. Trotzdem dürfte Deutschland im Vergleich auch in der Praxis nicht besonders günstig abschneiden. Die effektive Steuerbelastung für ansässige Unternehmen beziffert das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim für Osteuropa auf 13 bis 25 Prozent. In der Bundesrepublik müsse das Kapital mehr als 37 Prozent an den Fiskus überweisen.

Deutschland ist dabei

„Die Aggressivität nimmt zu“, heißt es in einer Analyse des Bundesfinanzministerium zum internationalen Steuerdumping. Solche Seufzer haben jedoch bislang weder die deutschen Gemeinden noch die Bundesregierung vom Mitmachen abhalten können. Viele Kommunen drosseln die Gewerbesteuer, die immerhin ein Drittel der Unternehmensteuern ausmacht, und die Bundesregierung hat den Steuersatz auf Gewinne in diesem Jahr erneut gesenkt – dieses Mal von nominal 40 auf 38,7 Prozent einschließlich Gewerbesteuer. International ist dies allerdings immer noch der dritthöchste Steuersatz.

In den kommenden zwei Jahren droht eine neue Dumpingrunde im Steuerwettbewerb. Margit Schratzenstaller vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (wifo) hält es für absehbar, dass auch die „Hochsteuerländer“ mit weiteren Steuersatzsenkungen reagieren werden. So habe Österreich mit Verweis auf die geringen Sätze in den Nachbarländern bereits für 2005 eine weitere Senkung der Körperschaftsteuer von derzeit 34 auf 25 Prozent beschlossen. Schratzenstaller erwartet „schwerwiegende wirtschaftspolitische Konsequenzen“, da mittelfristig die fiskalische Basis ausgezehrt werde, im Westen wie im Osten.

Umschichtung als Folge

Die meisten Länder östlich der Elbe können sich einen solchen Verzicht auf Einnahmen schon heute nicht leisten. Um die Steuergeschenke an die Unternehmen zu finanzieren, bleiben ihnen nur zwei Möglichkeiten: Sie kürzen notgedrungen weiter bei den Ausgaben. Oder sie heben andere Steuern an. Zu Letzterem allerdings müssen „weniger mobile Steuerbasen“ her, so ein Finanzexperte. Betroffen davon ist vor allem der private Verbrauch, was der Wiener Forscherin Schratzenstaller gar nicht gefällt: „Sozialausgabenkürzungen und die Erhöhung von Verbrauchssteuern betreffen die unteren Einkommensschichten stärker als die oberen.“ Zudem könnten Einsparungen bei öffentlichen Leistungen, die auch der Wirtschaft zugute kommen, wie Bildung und Infrastruktur, die erhoffte Verbesserung der Investitionsbedingungen für ausländisches Kapital konterkarieren. Nach der Herbstprognose der Europäischen Kommission wird das durchschnittliche Haushaltsdefizit im Osten ohnehin schon bei fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen – und das liegt erheblich über den drei Prozent, die der Stabilitätspakt in Euroland erlaubt.