Stadt Essen tagt Kinderbericht schön

Die Essener Stadtverwaltung verschleppt die Veröffentlichung des Kinderberichts weiter und setzt stattdessen eine Klausurtagung an. Die SPD-Opposition versteht die Verzögerung nicht: „Die Stadt ist für Armut nicht verantwortlich“

Essen taz ■ Die CDU-regierte Stadt Essen will mit allen Mitteln negative Schlagzeilen verhindern: Die Veröffentlichung des Kinderberichts, der die steigende Armut der Essener Kinder belegt, schiebt die Stadtspitze nun bereits seit Monaten vor sich her.

Die unveröffentlichte Version, die der taz vorliegt, enthält keine neuen, aber traurige Ergebnisse: 67 Prozent der Essener BezieherInnen von Sozialhilfe sind Alleinerziehende. Mehr als die Hälfte der Empfänger stammen aus kinderreichen Haushalten, ein Drittel sind Nichtdeutsche. Bei den Kindern gilt: Je jünger, desto höher die Angewiesenheit auf Sozialhilfe: Bei den unter 18-Jährigen sind im Durchschnitt 12 Prozent sozialhilfeabhängig, bei den unter 6-Jährigen 19 Prozent. Große Unterschiede existieren zwischen dem armen Norden und dem reicheren Süden der Stadt, und diese Schere klafft immer weiter auseinander.

Im Februar war die Veröffentlichung des Werks zwei Stunden vor der dafür angesetzten Pressekonferenz geplatzt, als Grund wurden „verwaltungstechnische“ Probleme genannt. Jetzt hat der Verwaltungsrat für Mitte Mai eine Klausurtagung angesetzt, um den Bericht „neu aufzubauen.“ Die Zahlen seien nicht aktuell genug gewesen, so Wolfgang Fröhlich, Leiter des Büros von Oberbürgermeister Wolfgang Reiniger. „Außerdem fehlten die Maßnahmen, die die Stadtverwaltung gegen die Kinderarmut bereits ergriffen hat“, so Fröhlich.

Der kinder- und jugendpolitische Sprecher der CDU-Ratsfraktion und gleichzeitig Vorsitzender des Jugendausschusses, Thomas Kufen, hatte sich Anfang des Jahres bereits zum unveröffentlichten Kinderbericht gegenüber den Medien geäußert. Die Ergebnisse seien ‚deprimierend‘ und er wünsche sich, dass „alle Parteien das Jahr 2004 zum Jahr der Kinder und Jugendlichen machen“. In der laufenden Debatte stellt er sich jedoch hinter seinen Oberbürgermeister: Es sei wichtig, den Bericht noch einmal zu überarbeiten und Konsequenzen zu ziehen: „Wir brauchen nicht nur die Diagnose, sondern auch Therapieansätze.“

Die Oppositionsparteien im konservativ-liberal geführten Stadtparlament vermuten, dass am Bericht noch einiges schön gefeilt werden soll. Grüne und PDS fordern den OB Reiniger auf, den Kinderbericht umgehend zu veröffentlichen. Auch die SPD hält nichts von der Hinhaltetaktik: „Es liegt nahe, dass die Untersuchungsergebnisse unerfreulich sind“, sagt der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Fresen. Doch er verstehe die Verzögerungstaktik der Stadt nicht. Die wachsende Kinderarmut sei kein neues Phänomen und auch kein Essener Problem. „Niemand will die Stadt allein verantwortlich machen.“ Die steigende Zahl an Kindern, die auf Sozialhilfe angewiesen ist, sei vor allem auf die sozialpolitischen Kürzungen des Bundes zurückzuführen. „Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe wird zu noch mehr Kinderarmut führen“, prophezeit Fresen.

NATALIE WIESMANN