: Ungeliebtes Retortenbaby
Die Hannover Scorpions stehen nach einem 5:0 gegen die Krefelder Pinguine an der Spitze der Eishockey-Liga und haben das Pokalfinale erreicht. Trotzdem locken sie kaum Zuschauer an
VON CHRISTOPH ZIMMER
Es könnte eine historische Saison werden für die Hannover Scorpions. Auch nach dem leichtfüßigen 5 : 0 (0 : 0, 3 : 0, 2 : 0) gegen die Krefeld Pinguine am zweiten Weihnachtsfeiertag führen sie die Tabelle der Deutschen Eishockey Liga (DEL) weiter in beeindruckender Art und Weise an. Zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte stehen sie zudem im Pokalfinale.
Nur in der niedersächsischen Landeshauptstadt selbst interessiert dieser viel versprechende Saisonverlauf kaum jemanden. Trotz der Siegesserie bleiben die Heimspiele der Skorpions mäßig besucht.
Der Grund dafür: In Hannover prallen zwei Eishockeywelten aufeinander. Die drittklassigen Indians sind seit ihrer Gründung vor sechzig Jahren tief in der Stadt verwurzelt. Ihre Eissporthalle riecht nach Glühwein und Wunderkerzen, ist offen, kalt, auch zugig und versprüht einen sympathisch spröden Charme. Ihre Heimspiele am Pferdeturm sind auch dann gut besucht sind, wenn es sportlich einmal nicht so läuft. In der laufenden Saison meldeten die Indians mit 4.608 Zuschauern bereits zweimal ausverkauft.
Der Schnitt der erstklassigen Scorpions liegt knapp unter dieser Zahl, auch wenn gegen Krefeld sich immerhin mal 5.400 Zuschauer in der 10.500 Besucher fassenden Tui-Arena verloren. Das erst 1997 aus seinem Stammverein, dem ESC Wedemark, hervorgegangene Retortenkind war 2004 in die hochmoderne, steril wirkende Multifunktionshalle implantiert worden und wurde in Hannover bislang nie richtig heimisch.
Trotz des aktuellen Erfolgs ist der Spielbetrieb aufgrund des geringen Interesses nicht kostendeckend. Günter Papenburg, der Gesellschafter des Tabellenführers, schloss zwischenzeitlich sogar den Verkauf der Klublizenz nicht aus.
„In den Köpfen der Hannoveraner sind wir einfach noch immer nicht angekommen“, klagt Scorpions-Geschäftsführer Marco Stichnoth. „Das Produkt DEL ist offenbar momentan nicht erwünscht. Man braucht in Hannover nicht in der ersten Liga zu spielen, man ist zufrieden mit der dritten Liga“, so Stichnoth.
Was für Hannover im Speziellen gilt, spiegelt sich in einer allgemeinen Entwicklung des Eishockeys wider. Denn auch in den traditionsreichen Eishockeystädten Köln und Düsseldorf klagt man über erschreckend rückläufige Zuschauerzahlen. Ein aberwitzig komplizierter Spielmodus trägt ebenso eine Teilschuld daran wie die Umzüge in die modern-emotionslos wirkenden Spielstätten.
Denn auf dem Eis könnten sich die Scorpions in diesen Dezembertagen sportlich und medienwirksam kaum besser vermarkten. Der knorrige Trainer Hans Zach, 59, hat dem Kader und dem Spiel in bisher zweieinhalb Jahren Tätigkeit seine persönliche Note verpasst. Die Mannschaft wurde gezielt verstärkt, das Tempo ist – wie auch gegen Krefeld – beachtlich.
Selbst in Unterzahl hat man immer das Gefühl, als läge etwas Besonderes in der Luft; gegen die Pinguine war es die Führung durch Martin Hlinka. „Die Spieler wollen die Spitze unbedingt halten“, lobte Zach im Anschluss, „das ist der Charakter der Mannschaft.“ Der Erfolg drückt sich in einem neuen Anspruchsdenken aus. Wurde im Sommer das Erreichen der Play-off-Qualifikation, also Platz zehn, als Ziel ausgegeben, korrigiert Zach nun entschieden: „Vor der Saison wären wir damit zufrieden gewesen. Aber das hat sich geändert.“
Bleiben die Scorpions von Verletzungen verschont, ist etwas ganz Großes möglich. In den kalten Monaten bleibt Mannschaft und Trainer derzeit nichts anderes übrig, als der Stadt Hannover weiter begeisterndes Eishockey anzubieten. Damit vielleicht auch bald vom Oberrang aus das vor Kraft und Spielwitz strotzende Spiel der Scorpions bestaunt werden kann. Denn dieser blieb auch gegen Krefeld geschlossen. Mangels Nachfrage.