: Drei Wetter Taft der Politik
Vom Hausfotografen der sozialliberalen Koalition: neunzigmal Helmut Schmidt. Die Ausstellung „Kanzlerjahre“ von Jupp Darchinger in der Friedrich-Ebert-Stiftung
Vor einiger Zeit ließ sich im Deutschen Historischen Museum in der Langzeitporträtreihe „Spuren der Macht“ von Herlinde Koelbl nachvollziehen, wie sich Amtsgewalt in den Gesichtern der Mächtigen einschreibt. Die CDU-Parteivorsitzende Angela Merkel hatte gerade ihr Image als Kohls Mädchen abgelegt und verwandelte sich in Prinz Eisenherz. Aus dem barocken Genusslinken Joschka Fischer war ein schmallippiger Bourgeois im schwarzen Dreiteiler geworden, der dies weniger seinem „langen Lauf zu sich selbst“ als vielmehr permanenter Übellaunigkeit zu verdanken schien. Helmut Schmidt, das ist zuallererst festzuhalten, wenn man nun aus der aktuellen Ausstellung der Friedrich-Ebert-Stiftung kommt, hat sich daneben vergleichsweise gut gehalten.
Ob in der komplizierten Troika mit Wehner und Brandt, beim Tee mit der Queen, Honeckers berühmtes Hustenbonbon am Bahnsteig von Güstrow oder der Handschlag für den nach dem Misstrauensvotum triumphierenden Helmut Kohl – der akkurate Seitenscheitel des reservierten Hanseaten und seine Schmidt-Mütze trotzten Drei-Wetter-Taft-mäßig nicht nur jahreszeitlichen Unbilden, sondern auch den Erfolgen wie den Misserfolgen.
Schmidt wahrte Haltung. Auch Falten der Macht, wie sie später für Gerhard Schröder typisch wurden, sind in seinem Fall nicht nachweisbar. Zumindest nicht in den Jahren 1974 bis 1982.
Genau dieser Zeit ist die Ausstellung mit dem Titel „Helmut Schmidt – Kanzlerjahre. Fotografiert von Jupp Darchinger“ gewidmet. Auch wenn es sich nach Memoiren, Spiegel-Titel, TV-Dokus und Zeit-Sonderbeilagen („Zweiter Teil – Der Publizist und Privatmann“) um einen weiteren Beitrag zu den nicht enden wollenden Festwochen zum 90. Geburtstag des Exbundeskanzlers handelt, ist die kleine Ausstellung gar nicht unsympathisch. Denn weder der Fotograf noch die Kuratoren der SPD-nahen Stiftung scheinen ein Hehl daraus machen zu wollen, dass es sich notwendig um Personenkult handelt. Neunzigmal Schmidt in Schwarz-Weiß – und fast kein anderer.
Das ist kaum anders zu erwarten bei einer Geburtstagsausstellung. Zudem galt der Pressefotograf Jupp Darchinger, Jahrgang 1925, der für den Spiegel, aber auch die Zeit, den Stern, die großen Blätter der rheinischen Republik fotografierte, als eine Art Hausfotograf der sozialliberalen Koalition. Viele bekannte Aufnahmen jener Bonner Jahre stammen von ihm. Nicht umsonst hat die Friedrich-Ebert-Stiftung gerade sein komplettes Oeuvre inklusive aller Rechte mit mehr als 1,5 Millionen Negativen erworben, darunter allein etwa 40.000 Fotografien mit Helmut Schmidt.
Schmidt beim Schachspiel mit Loki, Schmidt in kurzen Hosen auf dem Brahmsee beim Jollesegeln, Schmidt mit dem Fotografen selbst beim Schäkern – nicht die Distanz, gerade die Nähe scheint das Besondere dieser Fotografien eines Staatsmanns, der als Mensch nicht eben berühmt für seine Herzlichkeit ist. Zwar wird manchmal auf Nähe gezielt, wo bloß Schrulligkeit abgebildet ist, etwa der Kettenraucher Schmidt, der kunstsinnige Schmidt am Klavier oder mit Fettbuntstiften. Manchmal ist er aber auch in für ihn untypischen Situationen zu sehen, wenn er mit Narrenkappe bei der Weiberfastnacht posiert oder in der umarmenden Pose des Volkstribuns vor der Menschenmasse des SPD-Deutschlandtags in Dortmund steht. Ein Parteikanzler der Mitgliederherzen war Schmidt nicht.
Am spannendsten ist eine dritte Gruppe von Bildern: Wenn Schmidt im Tokioter Akasa-Palast den Arm über die Lehne eines Louis-XIV.-Sessels baumeln lässt, bleibt offen, ob er gleichsam schutzlos zu sehen ist oder ob er sich in diesem Moment zeigt, ob das Posieren ihm sozusagen unbewusst unterläuft. Man will gern glauben, hier könnte der Fotograf Jupp Darchinger Helmut Schmidt am nächsten gekommen sein.
ROBERT SCHRÖPFER
„Helmut Schmidt – Kanzlerjahre. Fotografiert von Jupp Darchinger“. Friedrich-Ebert-Stiftung, Hiroshimastr. 17. Bis 30. Januar, Mo.–Fr. 7–19 Uhr. Katalog (Dietz Verlag): 34 €