: Kombilohn sorgt für Wachstum
Wirtschaftsforscher beurteilen den Vorschlag von Aufbau-Ost-Minister Stolpe, derStaat solle Billigjobs bezuschussen, eher positiv. Politiker sind dagegen eher skeptisch
BERLIN taz ■ Staatliche Zuschüsse für Billigjobs sollen Schwung in den Arbeitsmarkt bringen. „Wir sind offen für eine Förderung des Niedriglohns“, heißt es aus dem Ministerium von Manfred Stolpe, der auch für Aufbau Ost zuständig ist. Hatte Stolpe anfangs den wirtschaftlich schwachen Osten im Blick, so weitet er inzwischen seinen Vorschlag auf kränkelnde westdeutsche Regionen – etwa das nördliche Ruhrgebiet oder die Oberpfalz – aus.
Bei den so genannten Kombilöhnen zahlt der Staat Arbeitnehmern, die keine oder nur eine unzureichende Ausbildung haben, einen Zuschuss zum Lohn. Damit soll für arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger ein Anreiz geschaffen werden, auch schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen. Bisher verlockt dazu nur wenig. „Die Sozialhilfe setzt gewisse Mindestlohnstandards, die es nicht lohnend machen, eine gering qualifizierte Beschäftigung anzunehmen“, sagt etwa Konrad Lammers vom Hamburgischen Weltwirtschafts-Archiv (HWWA) zur taz.
Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo-Instituts, verdeutlicht das Dilemma an einem Beispiel: Eine Arbeiterin in der unterfränkischen Bekleidungsindustrie, die den niedrigsten Tariflohn von 8,70 Euro pro Stunde verdient, bekommt für 155 Stunden im Monat 1.350 Euro brutto. Netto bleiben nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben 947 Euro. Arbeitet sie dagegen nicht, dann hat sie Anspruch auf eine Sozialhilfe inklusive Mietkostenzuschuss in Höhe von 635 Euro. Im zweiten Fall bekommt sie 312 Euro weniger. Das entspricht einem effektiven Stundenlohn von 2,02 Euro – zu wenig, um dafür arbeiten zu gehen, meint Sinn. Es gibt jedoch für Unternehmen keinen Grund, an gering Qualifizierte mehr Lohn zu zahlen, als diese an Wertschöpfung erbringen. Die Folge: Die schlecht Ausgebildeten stellen mehr als ein Drittel aller Arbeitslosen – obwohl sie nur 16 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung ausmachen.
„Die Politik steht vor der Entscheidung, entweder das Sozialhilfeniveau zu senken oder die Niedriglöhne zu subventionieren“, sagt der Arbeitsmarktexperte Boris Augurzky vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) der taz. Da Ersteres „politisch kaum erwünscht“ sei, führe an Lohnzuschüssen kaum ein Weg vorbei. Auch HWWA-Ökonom Lammers meint: „Ein staatlich geförderter Niedriglohnsektor würde mehr Arbeitskräfte in den Produktionsprozess bringen und positiv auf das Wachstum wirken.“
Die Kosten für den Finanzminister hält Lammers für vertretbar. „Wenn die Leute nicht in Arbeit sind, erhalten sie ebenfalls Lohnersatzleistungen.“ Allerdings müsse man sorgfältig austarieren: „Der Beitrag, den die Kombilöhne zum Wachstum erbringen, muss größer sein als die Kosten.“ Das Forschungsinstitut für die Zukunft der Arbeit (IZA) ist da skeptischer. Laut IZA könnte ein zusätzlich geschaffener Arbeitsplatz den Steuerzahler bis zu 60.000 Euro im Jahr kosten – das Institut schätzt den Nutzen der Niedriglohnzuschüsse daher gering ein.
Dass sich Unternehmen Arbeitsplätze staatlich bezahlen lassen, die sie ohnehin geschaffen hätten, ist nach Auffassung von Lammers kein hinreichendes Gegenargument. „Mitnahmeeffekte können Sie nie ganz ausschließen.“ Gegner des Niedriglohnsektors wie der SPD-Bundestagsabgeordnete Stephan Hilsberg fürchten dagegen, dass durch staatliche Lohnzuschüsse reguläre Arbeitsplätze vernichtet werden, weil die Unternehmen mehr subventionierte Billigjobs schaffen. Mit einem „gewissen Verdrängungseffekt“ rechnet auch Augurzky – doch der Nettoeffekt werde „sicherlich positiv ausfallen, weil die Arbeit billiger wird“.
Von den ostdeutschen Ministerpräsidenten drängt nur der Sachse Georg Milbradt (CDU) auf die Lohnzuschüsse. Sein Parteifreund, Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus, hält dagegen wenig von der Idee. In Osteuropa, so Althaus, würden deutsche Löhne ohnehin unterboten. Ähnliches räumt auch RWI-Experte Augurzky ein: „Es ist schon die Frage, ob ein Wettlauf mit Polen und Tschechien um das niedrigste Lohnniveau eine erfolgversprechende Strategie darstellt.“
ANDREAS SPANNBAUER