piwik no script img

Archiv-Artikel

Zurück zu den Reversknöpfen

Die Zukunft der Arbeit (Teil 4): Gibt es Kleider, in denen man zeigen kann, dass man nicht arbeitet? Der Dandy war wohl die letzte Figur, die Müßiggang ausstellte. Heute spiegelt sich das Nichtstun höchstens noch in der Rückkehr zum Reifrock oder dem Spiel mit Punk und seiner Verweigerungshaltung

Gibt es eine Zukunft der Arbeit? Muss es überhaupt eine Zukunft der Arbeit geben? Und was bedeutet Arbeit eigentlich? Die nächsten Folgen unserer Serie zum Thema handeln von der Wirtschaft, die tot ist und deshalb immer kultureller wird, und von Klassenunterschieden innerhalb der arbeitslosen Boheme von heute

von KATRIN KRUSE

Wochentags im Straßencafé. Die Sonnenbrillen zurechtgerückt, die Frisur out of bed, Sneakers aktuell, die Mobiltelefone auf dem Tisch, in der Sonne dörrt der Milchschaum des Latte macchiato. Die Haltung: Lässig. Mittagspause? Meeting? Arbeitslos?

Differenzierungskompetenz hin oder her: Es kann schon verwirren, beobachtet man, wie Mode immer weniger nur für die Arbeit, das heißt die Inszenierung von Arbeit gemacht wird. Und auch immer weniger nur für die Freizeit. In demselben Maß, wie Freizeitmode immer mehr Arbeitsuniformen zitiert, ist Arbeitskleidung als solche immer weniger zu erkennen. Im „Workwear“ kokettiert die Mode mit dem zunehmenden Verschwinden manueller Arbeit. Im „Sportswear“ führt sie die Arbeit als Freizeit oder die Freizeit als Arbeit, als Arbeit am Körper vor. Und mit dem „Casual Friday“, wo die Funktion wenigstens am Wochenende zurücktritt und das scheinbar privatere Selbst hervor, ist die Arbeitsuniform Anzug-Hemd-Krawatte scheinbar endgültig als Maskerade bloßgelegt. Und „Workwear“, „Sportswear“ und „Casual Wear“ werden inzwischen längst bei der Arbeit getragen.

Arbeit versus Freizeit, das war einmal. Heute arbeitet der ganze Mensch. Man denkt beim Chillen und networkt beim Feiern, das Tun verliert sich in den Randbereichen des noch Greifbaren. Und die Mode setzt diesen Wandel derart gekonnt in Szene, dass man fragen muss: Ist die stumme Seriosität des Anzugs, der signalisiert, hier ist jemand in Funktion, nicht weniger maskenhaft als diese neue Individualisierung der Oberfläche, diese vielleicht raffiniertere Uniform?

Welche modischen Möglichkeiten nun hat in einem Szenario, in dem alles Arbeit ist, überhaupt noch der richtige, der echte Müßiggang? Welcher Art ist die Kleidung, in der man nicht arbeiten kann – oder zumindest: nicht arbeitet? Und gibt es überhaupt noch jemanden, der öffentlich müßig sein will?

Die Figur, die wohl am eindrucksvollsten ihren Müßiggang ausgestellt hat, ist der Dandy gewesen. Nicht, dass sich in der perfekten Toilette des Dandys nicht arbeiten ließe. Und nicht, dass er nicht beschäftigt gewesen wäre. Dem komplizierten Regime jedoch, dem er sich unterwarf, war jede Zweckrationalität fremd: Sein einziger Beruf war die Eleganz. So wird von Beau Brummel, der als erster Dandy gilt, überliefert, er habe die Eleganz seines Gegenübers an der Knöpfbarkeit der Reversknöpfe gemessen. Nicht, dass man sie, die eigentlich nur zieren sollten, öffnen wollte oder müsste – allein aber, dass man sie hätte öffnen können, voller Aufmerksamkeit für die Perfektion des einfachen Details, das zeichnete die Garderobe des wahren Elegants aus. Wo fände er heute seine Gönner?

„1839 war es elegant“, so schreibt Walter Benjamin, „beim Promenieren eine Schildkröte spazieren zu führen.“ Das mag einen Begriff geben vom Tempo des Flaneurs, das auch der Dandy an den Tag legte. Der Bürger, so schien es damals, begann sich, seiner Arbeit zu schämen. Heute schämt er sich seiner Arbeitslosigkeit. Wer heute „auf dem Asphalt botanisieren geht“, der hat sein Legitmationsaccessoire dabei: den Kinderwagen.

Der Müßiggang steht nicht hoch im Kurs. So sieht ihn auch die Mode kaum vor. Die barocke Opulenz, die Vivienne Westwood der frugalen Nützlichkeitsmode entgegenstellt, ist eine Ausnahme – nicht im Zeichen der Verschwendung zwar, aber in dem des Nicht-Zweckhaften. Der Preis für ihre Mode: Die Rückkehr zum Reifrock verlangt auch die Rückkehr in uralte Rollenklischees. An anderer Stelle zitiert die Mode die Insignien des Müßiggangs – wie etwa im ironischen Spiel mit Punk. Was einmal Arbeitsverweigerung war, wird jedoch im ironischen Zitat zur leeren Geste der Rebellion: Der Gammellook, die Mode aus Müllsäcken, die den Punk als Antikonsumenten ausstellte, wird im zerschnittenen Designer-Shirt zur Pose. Und der Nietengürtel, der seinen Träger zu Beginn des Phänomens Punk am schnellen Ausschreiten hinderte, sitzt längst nicht mehr in der Kniekehle. Müßiggang in der Mode, so scheint es, ist zur symbolischen Handlung geworden, zur koketten Simulation. Zugleich ist sie, warenförmig, an Zahlungsfähigkeit gebunden. Könnte sich der Müßiggehende seine eigene Repräsentation, wäre sie denn möglich, eigentlich leisten?

Würde man Müßiggang nicht vielmehr in der Mode spiegeln, wenn man sich in ihr genauso mäandernd aufhielte wie sonst im Müßigsein? Wenn man Geschwindigkeit verwerfen, im Detail verweilen, sich dem Aufwändigen hingeben würde, gerade da, wo es der Nützlichkeit entbehrt? Es gilt also, zurück zu einer zeitintensiven Mode zu finden, unpraktisch und idiosynkratisch wie die Mode des Dandys. Der Dandy führte vor, dass Stil etwas ist, das sich entwickeln muss. Und mehr noch: Dass Stil eine Praxis ist, ein Moment der Lebenskunst, die schließlich den Träger formt, und zwar nach eigenem, langsamen Gesetz. Und hier ist der Dandy in der Tat virtuos. Zurück also zu den Reversknöpfen, den knöpfbaren.