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Archiv-Artikel

Diplomierte Perfektion

Das Literaturinstitut in Leipzig und die Folgen: Noch nie wurden so viele Bücher von jungen deutschen Autoren mit einem Schriftsteller-Studium veröffentlicht wie in diesem Frühjahr. Darin tritt aber der Gegenstand des Erzählens in den Hintergrund. Was zählt, ist vor allem das Handwerk

„Es ist schon so, dass einem da gesagt wird, was man alles nicht machen soll“Nicht jeder Absolvent eines Schreibinstituts ist ein ausgereifter Schriftsteller

VON GISA FUNCK

Muss man sich eigentlich wirklich noch darüber streiten, ob das Schreiben – wie jede andere künstlerische Tätigkeit auch – ein Handwerk ist, das handwerkliche Übung verlangt?! Wohl kaum. Es hat zwar lange gedauert, nämlich bis in die Neunzigerjahre hinein, bis sich im deutschen Kulturbetrieb die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass ein Schriftsteller nicht immer nur schöpferisches Genie sein kann, das sich ganz von alleine und alles von selbst beibringt.

Doch nun kommen die Schreibschulabsolventen gleich mit Macht. So viele deutsche Romane von jungen Autoren, die ein Schriftstellerstudium hinter sich haben, gab es wahrscheinlich noch nie. Ob Tobias Hülswitt oder Anke Stelling, ob Mariana Leky oder Ariane Grundies, ob Katja Oskamp oder natürlich auch der neue Star am Literaturhimmel, die 25-jährige Franziska Gerstenberg: Wohin man auch blättert in den Frühjahrskatalogen – überall junge Schriftsteller und vor allem junge Schriftstellerinnen, die ausgestattet sind mit einem geprüften „Diplom“, meistens vom Literaturinstitut in Leipzig.

Schließlich gilt das 1995 wiedereröffnete, ehemalige Johannes-R.-Becher-Institut – neben dem 1999 eingerichteten Studiengang „Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus“ in Hildesheim – als die deutsche Adresse für angehende Buchautoren. Hunderte von jungen Leuten bewerben sich hier pro Semester, auch wenn nur zehn für das dreijährige Studium aufgenommen werden, das neben angelsächsischen Creative-Writing-Fertigkeiten auch Kenntnisse in Literaturwissenschaft vermittelt. Ein elitär anmutendes Auswahlverfahren, das der Kölner Schriftsteller Roland Koch, der bereits zweimal Dozent am Literaturinstitut war, allerdings für unverzichtbar hält. „Leipzig“, sagt er, „das ist ein sehr geschützter Ort, an dem man sehr ernsthaft an Texten und Themen arbeiten kann. Und dadurch, dass es ein ganz kleines Institut ist, also mit 50 oder 60 Studenten und mit Seminaren von 15, 20 Leuten, kann man sich gut kennen lernen und entwickeln.“

Zwar beteuert Roland Koch wie alle Dozenten aus Leipzig und aus Hildesheim, dass es keine einheitlichen Schreibstandards gibt. Dennoch räumt Mariana Leky, eine Hildesheimer Absolventin, ein, dass man durchaus Regeln an die Hand bekommt. Ihr erster Roman, „Erste Hilfe“, der gerade erschienen ist, war gleichzeitig ihre Diplomarbeit. „Es ist schon so“, erzählt Leky, „dass einem da gesagt wird, was man nicht machen soll. Man wird eben gefördert in dem, was man vorlegt. Da sind dann Leute, die eher Lyriker sind. Oder solche, die lange Marathonromane schreiben. Oder Kurzgeschichten. Und immer wieder kommen auch Leute von außerhalb, die Schreibseminare geben. Es ist schon sehr handwerklich.“ Manchem Literaturkritiker allerdings klingen die Debüts der jungen Diplomschriftsteller mitunter etwas zu handwerklich-abgesichert. Denn auffallend oft enthalten sich die Romanerstlinge aus Leipzig und Hildesheim eigener Meinungen und Empfindungen, auch wenn deren Sujet häufig sehr persönlich ist, sie beispielsweise gern von den Wirren des Erwachsenwerdens erzählen. Selbst dort, wo es um schlimmste Katastrophen geht, lassen Schreibschulabsolventen nur selten gefühlige Blöße erkennen. Ja, man kann fast den Eindruck gewinnen, als würden sie nach den vielen plauderigen Intimgeständnissen der vergangenen Jahre nichts mehr fürchten, als allzu befindlich zu wirken. Der Erzählton ist bevorzugt pragmatisch-nüchtern. Die Syntax einfach und schnörkellos. Und statt Einschätzungen über eine Zukunft oder Vergangenheit zu wagen, halten sich Institutslehrlinge in der Regel lieber mit Urteilen zurück, um möglichst objektiv im Präsens zu berichten. Der Literaturkritiker Jörg Magenau rief anhand dieser Kennzeichen in einer Rezension in der FAZ kürzlich schon die „Gattung der Literaturinstituts-Literatur“ aus. Doch kann man diese neue Nüchternheit junger Autoren wirklich allein den Schreibschulen anlasten? Wahrscheinlicher ist, dass es sich hierbei auch um ein Zeitgeistphänomen handelt. Passend zur allgemein ernüchterten Rezessionsstimmung haben sich offenbar Schreibstil und das noch von den Popautoren gepflegte bohemistische Schriftstellerverständnis strikt gewandelt.

Nachdem der Literaturbetrieb allzu lange borniert im Geniekult verharrt ist, droht das Pendel nun in die Gegenrichtung einer Handwerklichkeit umzuschlagen. Vielleicht ein bisschen zu stark, wie neben Kritikern wie Magenau etwa auch Olaf Petersen, Lektor beim Verlag Kiepenheuer & Witsch, befürchtet. In der Märzausgabe der NRW-Kulturzeitschrift K.West meinte Petersen in einem Interview, dass er über die jungen Diplomautoren aus Leipzig schon ein wenig „beunruhigt“ sei, die mehrheitlich einen „nach klaren Mustern verlaufenden Lebenslauf“ haben. Beim Dreierschritt „Abitur, Ausbildung, Literaturinstitut –und nicht unbedingt harte Erfahrungen“ – sieht Petersen die Gefahr, dass vor lauter „erzählerischen Fähigkeiten der Gegenstand des Erzählens in den Hintergrund tritt“.

Diagnose des Lektors: „Die Dringlichkeit des Themas ist häufig nicht mehr auszumachen.“ Erlernte Grundfertigkeiten sind für das Schreiben zwar unerlässlich. Sie alleine aber machen aus Büchern natürlich noch keine gute Literatur. Nicht jeder Absolvent eines Schreibinstituts ist darum automatisch auch schon ein ausgereifter Schriftsteller. Genauso wenig wie jeder Kunstakademie- oder Musikhochschulabgänger bereits ein fertiger Künstler oder begnadeter Musiker ist. Das anzunehmen würde die Institutionen der kreativen Schulung überfordern. Schreibstudiengänge wie in Leipzig und Hildesheim können von daher immer nur Voraussetzungen schaffen, die der literarische Nachwuchs hierzulande zweifellos dringend braucht. Schließlich gehört „Schriftsteller“ neben „Popstar“ und „Schauspieler“ inzwischen zu den begehrtesten Berufen von jungen Deutschen. Bei Talentwettbewerben wie dem Berliner „Open Mike“ schicken tausende ihre Texte ein, während sich bei Verlagen unverlangt eingesandte Manuskripte stapeln.

In einem Land, wo selbst 17-jährige Supersternchen wie Daniel Küblböck mittlerweile Memoiren schreiben, wächst der Drang, sich auf dem Papier zu verewigen, stetig an. Eine Selektion hier nur den Gesetzen des Marktes zu überlassen, das hieße, die literarischen Kriterien stets wechselnden Geschmacksurteilen zu unterwerfen. In benachbarten Kreativdisziplinen wie dem Schauspiel, der Musik und vor allem in der bildenden Kunst (auf die der Institutsbetrieb in Leipzig zur eigenen Legitimation gern verweist) hat sich die Akademie deshalb schon lange als Filterinstrument, aber auch als Refugium etabliert, das Talenten Freiraum zur Orientierung bietet. Allerdings herrscht in diesen Disziplinen unter den beispielsweise rund ein Dutzend deutschen Kunsthochschulen auch eine viel größere Pluralität vor. Dem Leipziger und dem Hildesheimer Institut hingegen kommt im literarischen Nachwuchsbereich bislang eine monopolgleiche Vorreiterrolle zu.

Denn während in den USA fast jede Universität einen Creative- Writing-Kurs anbietet, fehlen an den deutschen Universitäten dafür meistens das Geld und die Überzeugung. Außer an der Tübinger Hochschule und der Prosawerkstatt des Literarischen Colloquiums Berlin ist die Idee einer durchgängigen Schriftstellerausbildung hierzulande immer noch nicht weit verbreitet. Was Wunder also, dass beim letzten „Open Mike“ wiederum die Diplomdichter aus Leipzig auftrumpften?! Und dass Lektoren und Talent-Scouts schon heute vorrangig nach Leipzig schauen, um sich dort von Dozenten neue Manuskripte ans Herz legen zu lassen?! Mit seinen Ausbildungsstätten feiert sich jeder Betrieb naturgemäß gern selbst.

Mit dem Literaturinstitut in Leipzig und dem Studiengang „Kreatives Schreiben“ in Hildesheim ist dabei sicherlich ein wichtiger Anfangsschritt gemacht. Nun aber sollten weitere Schreibschulen hinzukommen. Denn die Fokussierung auf ein oder zwei Adressen kann nicht im Interesse einer Branche liegen, die von der kreativen Vielfalt lebt.