piwik no script img

Archiv-Artikel

„Das ist eine Dauerbaustelle“

Für die Altersstruktur gibt es keine nachhaltige Lösung, meint Bevölkerungswissenschaftler Josef Schmid. Er fordert: Rüstige Alte müssen für ihre eigene Hochbetagtheit vorsorgen

taz: Herr Schmid, die Prognose, dass im Jahr 2050 jeder Dritte über 60 sein wird, überrascht Sie nicht, oder?

Josef Schmid: Wahrscheinlich altert unsere Gesellschaft noch stärker. Offizielle Regierungsschätzungen wie diese neigen dazu, weniger erschreckende Zahlen zu nehmen. Nicht umsonst heißt das Werk „koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung“. Koordiniert deshalb, weil alle Ressorts mitreden dürfen.

Reagiert die Politik adäquat auf diesen Wandel?

Es gibt richtige Ansätze wie den Rürup-Vorschlag, das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre anzuheben. Nachhaltige Lösungen kann es aber bei dieser demografischen Implosion nicht geben. Die Altersstruktur wird eine Dauerbaustelle bleiben, an der auch künftige Generationen laufend arbeiten müssen.

Was raten Sie Sozialpolitikern?

Wir brauchen in Deutschland eine geburten- und kinderfreundliche Politik wie etwa in Skandinavien. Frauen müssen einfach ihren Beruf mit Kindern vereinbaren können. Außerdem muss man Frauen die Erstgeburt schon früh ermöglichen, etwa indem Studentinnen und junge Frauen in Ausbildung großzügige Auszeiten nehmen können. Ein durchschnittliches Erstgebäralter von 29 ist zu hoch.

In den USA gibt es Regionen, in die verstärkt Rentner ziehen. Florida zum Beispiel …

Quasi unser Garmisch-Partenkirchen.

Ist das bei uns denkbar – Junge in die Großstädte, Alte ins Saarland?

Das sollte der Staat verhindern. Eine Gesellschaft mit stark polarisierter Altersstruktur darf sich nicht auch räumlich polarisieren. Nicht nur das, sie muss alternde Jahrgänge auch in mehr Funktionen belassen.

Zum Beispiel?

Die Grauen Panther sind vielleicht nur eine Vorform, aber die Gruppe der so genannten rüstigen Alten muss organisiert werden. Sie sollte soziale Aufgaben übernehmen und für die kommende eigene Hochbetagtheit Vorarbeit leisten. Ich hielte zum Beispiel einen Sonderfonds für die explodierenden Jahrgänge ab 80 für sinnvoll, der von jüngeren, rüstigen Alten bedient wird.

Die Gesellschaft wird weiblicher, junge Leute werden zur Minderheit – verschieben sich Machtverhältnisse?

In den USA sollen schon jetzt 75 Prozent des Privatvermögens in den Händen alter Damen sein – so könnte es hier auch kommen. Viele Alte sehen aber ein, dass sie für den Nachwuchs Sorge tragen müssen. Das erste Kind in Familien wird oft ganz von den Großeltern finanziert. Es macht also wenig Sinn, das Erstgeborene staatlich zu fördern. Familienpolitik muss beim zweiten und dritten Kind ansetzen.

INTERVIEW: ULRICH SCHULTE