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Archiv-Artikel

Hilfe, die Helfer kommen

Für ein soziales Pflichtjahr spricht wenig. Hohe Sympathie hat die Idee der Zwangsarbeit dennoch: Vor allem die Linke kultiviert den Mythos vom Helfen, das Spaß macht und den Gemeinsinn stärkt

VON DANIEL SCHULZ

Die Bundesregierung will ein soziales Pflichtjahr einführen, da die Abschaffung des Wehr- und Zivildienstes trotz gegenteiliger Beteuerungen des Verteidigungsministers immer wahrscheinlicher wird.

Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) meint gar, das Pflichtjahr „schaffe ein Abwehrbewusstsein der deutschen Bevölkerung“ gegen den internationalen Terrorismus. Er will sogar Schulabgänger innerhalb eines Jahres zu Helfern bei der Gefahrenabwehr ausbilden lassen. Diese Reichsarbeitsdienst-Fantasie ist freilich nicht ernsthaft diskussionswürdig.

In der paramilitärisch organisierten Gesellschaft der DDR galt es, Schilys Idee ein ganzes Leben lang umzusetzen. Dort hieß sie: „ZV“ – Zivilverteidigung. Fast jeder arbeitende Mensch war Mitglied der ZV und lernte, wie auch er im Angriffsfall den realen Sozialismus verteidigen konnte: Gräben ausheben, Straßen reparieren, gefährliche Stoffe beseitigen. Der Gebrauchswert der ZV lag nahe null. Es mangelte an Ausbildung und Kampferfahrung.

Diskutiert werden muss auch der Vorstoß von Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) nicht, die den internationalen Rechtsbegriff dehnen möchte, um staatlich verordnete Zwangsarbeit umzusetzen, die es sonst nur in der Militärdiktatur Birma gibt. Deutschland hat die EU-Richtlinien zum Flüchtlingsrecht lange genug missachtet, andere Länder ignorieren supranationale Gesetze ähnlich leicht.

Dringend debattiert werden sollten vielmehr die Gründe, die eine Idee der Zwangsarbeit auch für die Linke so sympathisch machen: Angeblich wird allen geholfen. Anders als beim Wehrdienst muss niemand auf andere Menschen schießen, die jungen Pflichtjahrabsolventen leisten etwas Sinnvolles für die Gesellschaft. Und das fördere den dringend wieder benötigten Gemeinsinn, so argumentieren die Befürworter. Und: Die Alten und Kranken sind angemessen versorgt, während die jungen Sozialarbeiter etwas fürs Leben lernen. Erfolgsmodell ist dabei immer der noch bestehende Zivildienst.

Zwar besteht ein Jugendjahrgang derzeit etwa aus 500.000 Menschen, durch den Geburtenknick wird die Anzahl zusätzlich sinken. Dennoch werden es zu viele Jugendliche sein, um allen eine sinnvolle Tätigkeit anzubieten. Zivildienst leisten derzeit etwa 100.000 Menschen, viele von ihnen füllen Anti-Aids-Handschuhe von einer Plastiktüte in die nächste. Oder fegen Gehwege. Ein Jahr lang. Sollten diese Aufgaben in Zukunft fünfmal so viele junge Menschen machen? Diese Arbeiten müssen selbstverständlich gemacht werden, aber darin eine Aufgabe zu sehen, die den Gemeinsinn junger Menschen fördert, dürfte schwer fallen.

Ähnlich schwer wie die Vorstellung, dass Helfen nur Spaß macht. Zivildienstler erinnern sich gern an: das freundliche und dankbare Lächeln alter Menschen oder behinderter Kinder für ihre Hilfe. Sie denken an Zivifahrten, flackernde Lagerfeuer und klingende Gitarren. Abgesehen von der Frage, ob sich diese Erlebnisse verordnen lassen, steht fest, dass viele Zivis an einer Teilamnesie leiden.

Sonst hätten sie beispielsweise nicht Gespräche mit anderen Zivis vergessen, in denen beispielsweise ein 18-Jähriger bekifft erzählt, dass er bald verrückt werde, weil er auf der Inneren Psychiatrie eingesetzt würde. Klar sei das verboten, aber man brauche ihn eben. Er gebe auch Medikamente an Patienten aus, wobei er sich anfangs öfter in der Dosierung geirrt habe. Was hatten wir gelacht! Und die nächste Tüte geraucht. Und dem Nächsten zugehört, der von seiner Altenpflegestation erzählte: zu wenig Personal, Medikamente verteilen, Spritzen geben. Obwohl dazu nicht einmal Krankenschwestern befugt sind, sondern nur Ärzte. Egal.

Alles Ausnahmen? Mag sein, dass die Zahl derer, die wirklich helfen können, höher ist als die Zahl derer, die ihren Patienten gefährlich wurden oder es potenziell hätten werden können. Aber dass viele Zivis Arbeiten erledigen mussten, die nicht nur ihnen, sondern vor allem auch ihren Patienten schadeten, hängt allein damit zusammen, dass sie Zwangsarbeiter waren und die staatliche Aufsicht nicht griff.

Wie unendlich beschwerlich ist es doch oftmals, den Zivildienstbeauftragten in seiner spärlichen Sprechzeit zu erreichen. Manchmal dauert es ewig, bis er sich mit der eigenen Stelle in Verbindung setzt. Was dort wiederum auch nur zu Ärger führt. Eventuelle Folge der Beschwerde: Zivis werden versetzt – zum Spritzensortieren. Oder sie machen schlicht weiter wie zuvor. Den Dienst abzubrechen geht nicht. Das ist bei Zwangsarbeit nicht möglich.