: „Dieser Brief macht keinen Spaß“
Ein Arbeitsloser bat die Mächtigen der Republik – höflich, aber bestimmt – um Rat. Roland Koch wurde persönlich, Lothar Späth wirkte genervt, und Angela Merkel fertigte den Exmanager mit parteipolitischen Parolen ab. Viele andere haben gar nicht erst geantwortet
VON MIA RABEN
Für die Wichtigen im Land ist Peter Kleimeier, 45, ein Niemand. Dabei war er Mitte der Neunziger schon einmal ganz oben. Kleimeier saß im Vorstand eines 200 Mitarbeiter zählenden IT Dienstleisters, den er mit aufgebaut hatte. Dann kam der große Börsencrash. Die Firma ging bankrott. Seit vier Jahren ist Kleimeier arbeitslos. Auf seine 119 Bewerbungen bekam er nur Absagen.
Kleimeier wollte sich mit der Situation nicht abfinden. Er setzte sich hin und schrieb einen geschliffen formulierten Brief, erklärte sich und fragte um Rat: Was er schon alles versucht hat. Was er noch tun könnte. Für Kleimeier war die Arbeit lange Zeit der Kern seines Lebens. Er hat ein abgeschlossenes Lehramtsstudium Kunst, Mathematik und Germanistik, hat sich kurz danach mit Freunden selbstständig gemacht, erst eine GmbH, dann eine AG aufgebaut. Hat sich später, arbeitslos geworden, fortgebildet, Bücher über Hirnforschung, Gentechnik und Management gelesen. Für das Land Berlin hilft er jungen Leuten ehrenamtlich dabei, ihren Business-Plan zu entwickeln. Was er in seinem Brief nicht erwähnte: Nach der Pleite seines eigenen Unternehmens hatte er einen gut bezahlten Manager-Job in Stuttgart. Doch den kündigte er, weil er nicht von Berlin nach Stuttgart ziehen wollte.
Den Brief mit dem Titel „Fragen eines lesenden Arbeitslosen“ schickte Kleimeier an hundert Größen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft: „Ich schreibe Ihnen, weil Sie mir imponieren oder weil Sie zu den streitbaren Geistern dieser Republik gehören.“ Und warnte: „Ich weiß, dass es Ihnen keinen Spaß macht, dies zu beantworten, aber denken Sie: Uns (den Arbeitslosen, d. Red.) macht es auch keinen Spaß, es täglich mit wenig Erfolg erneut zu versuchen.“ Er kündigte an, die Antworten veröffentlichen zu wollen. 32 haben ihm zurückgeschrieben.
Viele der Antworten sind verblüffend, manche ermüdend oder sogar überraschend kaltherzig und knapp. Der evangelische Bischof Wolfgang Huber schreibt: „Ihre Aufforderung, Ihnen einen Rat zu geben, den Sie in einer nicht genannten, aber renommierten Zeitschrift veröffentlichen wollen, widerspricht allen Gepflogenheiten.“ Keinen Rat, sondern „herzliche Segenswünsche“ bekam der Hilfesuchende vom kirchlichen Vertreter.
Die Antworten seien, sagt Kleimeier, der eindeutige Beweis, dass er „kein Spinner“ sei. Das jedenfalls hat ihm Leibniz-Präsident Hans-Olaf Henkel schwarz auf weiß attestiert: „Man merkt, Sie können was.“ Neben dieser Schmeicheleinheit gibt der philosophierende Globalisierungsfanatiker dem Arbeitslosen allerdings auch den neoliberalen Peitschenhieb: „Wie Sie richtig vermuten, macht mir dieser Brief keinen Spaß. Die Gründe für die Arbeitslosigkeit eines Einzelnen sind immer zum größten Teil individueller Natur.“ Dennoch hält Kleimeier Henkels Schreiben für „brillant“. Er bot ihm ein Treffen an. Das Gespräch sei sehr offen und interessant gewesen, sagt Kleimeier. Einen Job gab es hinterher nicht.
Doch in Kleimeiers Briefkasten fanden sich auch konkrete Angebote. Gunter Thielen, Vorstandsvorsitzender des Medienkonzerns Bertelsmann, bot ihm ein Gespräch mit zwei ranghohen Mitarbeitern der Personalabteilung an. Kleimeier fuhr auf Kosten von Bertelsmann hin. Thema der Aussprache: Was kann ich bei Bewerbungen besser machen? „Sehr merkwürdig“ sei die Atmosphäre gewesen. Kleimeier habe sich „wie ein Schüler“ gefühlt, dem man „Dinge sagt, die er schon weiß“. Weitergebracht habe ihn das Gespräch nicht. Er fragt sich bis heute, mit welchem Motiv sie ihm ihre Zeit opferten.
Auch Fredmund Malik, Präsident des Verwaltungsrats der gleichnamigen Unternehmensberatung, bot Kleimeier ein Gespräch an. Doch jüngst meldete sich ein Mitarbeiter und teilte mit, dass Herr Malik nicht ganz von der Sinnhaftigkeit eines Gesprächs überzeugt sei. Nun will Kleimeier wiederum schriftliche Überzeugungsarbeit leisten.
Manchmal ist den Antworten die Arroganz der Mächtigen anzumerken. Eine andere Grundstimmung ist jedoch noch stärker verbreitet: die allgemeine, komplette Ratlosigkeit angesichts der gescheiterten Arbeitsmarktpolitik. Wolfgang Schäuble (CDU) schreibt knapp: „Auch ich kann Ihnen nicht sagen, warum Sie bei Ihrer bisherigen Suche keinen Erfolg hatten.“ Erwin Teufel (CDU), Landesvater von Baden-Württemberg, lässt einen Abteilungsleiter in herrschaftlichem Ton ausrichten, dass er mit einer Veröffentlichung nicht einverstanden sei. Amtsvorgänger Lothar Späth (CDU) findet deutlichere Worte: „Wer so viele Kenntnisse und Erfolgsnachweise darstellen kann wie Sie, müsste einen Job bekommen, aber verzeihen Sie, nicht, wenn er ihn bei der Gesellschaft einklagt, oder bei den Spitzenkräften.“
Zu den besten Briefen gehört für Kleimeier die ausführliche Antwort des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU). „Überraschend differenziert und sehr eindrucksvoll“ fand er das Schreiben des aufstrebenden Provinzfürsten: „Der Mensch ist viel mehr als nur ein Wesen, das berufstätig ist. […] Ob jemand einen Arbeitsplatz hat oder nicht, sagt nichts über den Menschen und seine Persönlichkeit aus.“
Manche Antworten hingegen lassen Kleimeier schlicht als armen Spinner dastehen. Zum Beispiel jene des bayerischen Autobauers BMW: „Fragebögen jeglicher Art“ beantworte der Konzern grundsätzlich nicht, „ganz besonders nicht, wenn die Fragen an Mitglieder des Vorstandes persönlich gestellt werden.“ Fast schon verhöhnend schrieb der Münchner OB Christian Ude (SPD): „Meine Aufgaben als Oberbürgermeister beschränken sich auf die Landeshauptstadt München, was auch bedeutet, dass der Arbeitsamtbezirk Berlin nicht zu meinen Zuständigkeiten gehört.“
Kleimeier verkörpert die Extreme der stets minder sozialen Marktwirtschaft: Hier der machtgeile Karrierist, dort der nutzlose Arbeitslose. Die Unionsvorsitzende Angela Merkel nahm seine Vorlage als Gelegenheit, um wahlkämpferische Plattitüden loszuwerden: „Ihre Ausführungen […] zeigen einmal mehr, dass wegen der verfehlten Politik der rot-grünen Bundesregierung […] auch qualifizierte und hoch motivierte Personen von der Misere betroffen sind. […] Es bleibt dabei: Unser Land braucht dringend einen Politikwechsel.“
Schon eher halfen da die rührenden Worte eines wissenschaftlichen Mitarbeiters des grünen Außenministers Joschka Fischer: „Ich kann Ihre Situation sehr gut verstehen“, schreibt Michael Knoll in einem ausführlichen Brief, „mir ging es exakt vor zwei Jahren ähnlich. […] Lieber Herr Kleimeier, ehrlich gesagt bin ich ziemlich hilflos, wie ich Ihnen antworten soll, obwohl oder gerade weil ich mich in einer ähnlichen Situation befunden habe.“
Gerhard Schröder, Helmut Kohl und Johannes Rau antworteten nicht. Ebenso wenig wie die Grünen Claudia Roth und Jürgen Trittin. Doch von deren Parteifreund Christian Ströbele erhielt Kleimeier endlich einen konkreten Tipp: „Wenn ich richtig informiert bin, sind Lehrerjobs in einigen ostdeutschen Bundesländern wieder zu haben.“ Gerade hat sich Peter Kleimeier für einen Referendariatsplatz beworben. Er will Mathe, Kunst und Deutsch unterrichten. Dafür würde er sogar in den Osten gehen.