Der alte Mann und die schwächelnde Jugend

Bundespräsident Rau besucht Deutschlands Nachwuchs an Drehbank und Uni, doch er findet nicht, was er sucht: frische Ideen für die Demokratie

BREMEN taz ■ Eigentlich müsste das die Woche des Johannes Rau sein. Nicht so sehr die weizsäckerianischen Reden oder brandtschen Gesten seien seine Sache, heißt es ja von diesem Bundespräsidenten, sondern das traute Gespräch mit dem Bürger. Dazu passend haben sich seine PR-Strategen eine „Sommerreise“ ausgedacht: Unter dem Motto „Reden wir über Deutschland“ tourt Rau – begleitet von einem stattlichen medialen Tross – bis Freitag durch die Republik, um Deutschlands Jugend besser kennen zu lernen.

Die Suche nach einer Frischzellenkur für die Demokratie startete das 72-jährige Staatsoberhaupt gestern Vormittag beim größten Industriearbeitgeber Bremens, im DaimlerChrysler-Werk, wo die C-Klasse vom Band rollt. 16 handverlesene Azubis sitzen mit Rau in einer Art Gesprächskreis, Industriekaufleute, Werkzeugmechaniker, Sozialversicherungsfachangestellte. Ein Gespräch im eigentlich Sinne freilich kommt bloß zäh in Gang. Nach und nach nur wagt sich die ausgesucht höfliche Daimler-Jugend aus der Reserve und beklagt vor allem die Schwächen des Bremer Bildungssystems. Freunde aus dem niedersächsischen Umland seien „viel fitter“, und dort falle auch auch nicht so viel Unterricht aus. Nach einer halben Stunde Rentenpolitik, Lehrstellenmangel und Zuwanderungsgesetz versucht der Präsident selbst, die Debatte gesellschaftskritisch aufzuladen: „Wie soll Deutschland sich gestalten“, fragt er ins Rund, „sind wir in unserem Land zu müde, zu selbstfixiert oder zu amerikanisiert?“ So richtig eingehen will auf die Metafrage niemand – dafür beklagt ein Lehrling, dass sein Kindergeldantrag seit vier Monaten unbearbeitet sei. „Das geht ja nicht, ich ruf da gleich mal an heute Nachmittag“, gibt sich der Präsident volksnah.

Dann wagt Rau noch einen Anlauf: „Wie steht’s denn mit dem politischen Engagement in dieser Runde?“ Bis auf einen Jugendlichen, der früher mal im „Jugendrat“ seiner Gemeinde saß, herrscht Schweigen. Rau ist enttäuscht: Klar, auch die Arbeit bei der Jugendfeuerwehr oder ein Ehrenamt im Fußballverein seien lobenswert, aber „wenn Sie nicht in Parteien, Gewerkschafts- oder Kirchenvorstände gehen, kommt der Tag, an dem ein 80-Jähriger Juso-Chef ist“.

Und was macht Rau mit knapp 80? Sitzt er weiter in Bellevue? Der Präsident schweigt, fast: „Ich bin kein Typ für den Lehnstuhl.“

Dem Menschenfischer Rau zeigten die Auto-Azubis eher eine kalte Schulter. Politische Parteien machten sich doch nur gegenseitig schlecht: „Immer dieses Gezoffe, da ist keine Zusammenarbeit da.“ Der Bundespräsident hatte verstanden: Junge Menschen, so fasste der Sozialdemokrat ein bisschen melancholisch zusammen, seien offenbar eher zu zeitlich befristeten Engagements bereit als zu einem „lebenslangen politischen Weg“.

MARKUS JOX