: „Ich möchte ein Haus kaufen“
„Das alles erinnert mich stark an die Anfänge der Beat-Poet-Szene:“ Ein Gespräch mit dem Star-DJ und Technopionier Richie Hawtin über alte Wolfgang-Tillman-Fotos, ein bisschen Make-up, sein neues Leben in Berlin und das Gefühl, in einer Zeit zu leben, über die später einmal Bücher geschrieben werden
INTERVIEW JAN KEDVES
taz: Herr Hawtin, Sie sind vor einem halben Jahr nach Berlin gezogen. Konnten Sie schon etwas Deutsch lernen?
Richie Hawtin: Nur ein paar Worte. Ich überlege gerade, mir zum Deutschlernen einen Fernseher zu kaufen. Ich habe meinen Fernseher vor neun Jahren abgeschafft, aber in dem Fitnessstudio, in dem ich hier ab und zu schwimmen gehe, zeigen sie oft englische Programme mit deutschen Untertiteln. Da denke ich immer „Hey, gute Idee!“
Warum sind Sie nach Berlin gezogen?
Ich hatte schon lange vor, hierher zu ziehen. Berlin hat ja eine enge Verbindung zur anderen Techno-Metropole Detroit, durch Jeff Mills, den Tresor und Basic Channel. Außerdem sind sich die Städte sehr ähnlich, mit den vielen heruntergekommenen Gebäuden. Sie sind auf eine kaputte Weise sehr schön. Detroit hat mich immer sehr inspiriert, aber ich wollte dort nie hinziehen, weil es zu nah an Windsor, meiner Heimatstadt war, die auf der kanadischen Seite des Detroit Rivers liegt. Also bin ich in das andere Detroit gezogen, nach Berlin.
Ist es schon passiert, dass Sie hier als Gast in einen Club kamen und der DJ dann extra eine Ihrer Plastikman-Platten aufgelegt hat?
Ja, das waren die Partys, die mir am besten gefallen haben. (lacht) Für mich ist es im Moment sehr spannend, zu beobachten, was hier in den Clubs abgeht. Auch um zu schauen, wie ich hier reinpasse, was ich Neues in die Szene bringen kann.
Wollen Sie etwa einen Club eröffnen?
Mal schauen. Ich möchte jedenfalls ein Haus kaufen. Ich bin gerade auf der Suche nach einem Gebäude, in dem nicht nur meine Wohnung und mein Studio Platz haben, sondern auch Apartments und andere Studios, vielleicht noch eine Galerie, ein Café. Und ein Club, in dem man zur Not weiterfeiern könnte, wenn alle anderen schon zu haben. Auf jeden Fall soll es etwas werden, was ich so noch nie gesehen habe.
Gemeinsam mit ihrem Freund Ricardo Villalobos haben Sie in Berlin in letzter Zeit auch öfters aufgelegt. Zum Beispiel sonntags auf der Beat-Street-Afterhour in einer Fabriketage am Südstern.
Ja, dort bin ich auch ein paarmal als Gast hingegangen. Die Party ist wirklich cool, weil sich dort eine total verrückte Mischung aus Leuten trifft. Ich kenne viele, die schon seit Freitagabend auf den Beinen sind, wenn sie zur Beat Street kommen, es gibt aber auch viele, die Sonntags morgens frisch ausgeschlafen und nüchtern dorthin gehen. Egal ob auf Drogen oder nicht, es geht dort einfach darum, keinen Stress zu haben, seine Sorgen zu vergessen … verrückte Leute, die zusammen ausrasten!
Villalobos und Sie hatten sich dort Wimpern aufgeklebt und je eine Gesichtshälfte geschminkt.
Ja, das war ein Scherz. Wir nehmen die Musik, die wir machen, zwar sehr ernst, aber wir wollen uns selbst nicht zu ernst nehmen. Wir sind irgendwie immer noch wie Kinder. Wir mussten nie erwachsen werden, weil wir immer das machen konnten, was uns Spaß macht. Es ist ein großes Spiel!
Ist ihr neuer Look auch Ausdruck dieses Spielerischen? Zehn Jahre lang waren Sie ja bekannt dafür, sehr ernst auszusehen, mit Glatze und Hornbrille. Nun sind Sie ein richtiger Posterboy.
Das Lustige daran ist, dass ich jetzt wieder genauso aussehe wie mit 19, als ich meine ersten Platten produzierte. Und ich fühle mich auch tatsächlich wieder so jung wie damals.
Ist es ihnen leicht gefallen, Ihr altes Image abzulegen?
Ich habe das sehr lange rausgezögert, schließlich war ich so etwas wie meine eigene Trademark. Aber mein Freund Sven Väth hat mir Mut gemacht. Er sagte mir: „Richie, wenn du es bis hierher geschafft hast, dann schaffst du es auch, die Leute von einem neuen Look zu überzeugen. Schau mich an!“ Danach hat es Spaß gemacht, alles über Bord zu werfen.
Ist es Ihrer Meinung nach gerade wieder eine gute Zeit für Techno?
Auf jeden Fall, Techno erlebt gerade eine enorme Renaissance. Die Musik ist frisch und aufregend, es gibt viele neue Produzenten. Das Schöne daran ist, dass die Neuen mit den Leuten zusammenarbeiten, die sie beeinflusst haben, sodass auch die Alten frischer klingen als je zuvor.
Auch der Chilene Luciano gehört zu dieser jungen Generation von Starproduzenten. Er will nun ebenfalls nach Berlin ziehen. Vielleicht sollten Sie einen Stammtisch gründen: Techno-Größen im Exil e. V.
So was müssen wir nicht planen, es passiert sowieso! Wir treffen uns ständig, nach den Gigs geht es in Ricardos Wohnung, wir stöpseln unsere Laptops in die Stereoanlage und jammen. Das ist wie in den Büchern, die ich über die Anfänge von Jazz oder der Beat-Poet-Szene gelesen habe. In Detroit habe ich so etwas Ähnliches schon mal erlebt, Anfang der Neunziger, mit meiner Plastikman-Gang. Und in Berlin passiert das nun wieder. Es ist wie eine Familie! Ich bin sicher, dass darüber später auch einmal Bücher geschrieben werden.
Wolfgang Tillmans hat vor zehn Jahren in Windsor Fotos von ihnen und dieser Plastikman-Gang gemacht. Damals entstand auch das berühmte Bild von ihnen im Wohnzimmer ihrer Eltern.
Ja, dieses Bild ist lustig. Es zeigt mich nur drei Schritte entfernt von dem Platz, an dem ich meine frühen Platten aufgenommen habe. Ich habe letztens in der Londoner Tate Gallery gesehen, dass es das jetzt sogar als Postkarte zu kaufen gibt! Eigentlich hätte ich für meine Wohnung gerne einen Abzug von einem der Fotos, auf denen die ganze Gang zu sehen ist. Sie erinnern mich an die Zeit jetzt in Berlin. Aber Tillmans ist ja auch dauernd hier, vielleicht sollte ich ihn auf der nächsten Party einfach mal fragen.