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Archiv-Artikel

Gericht: Einberufungen sind ungerecht

Verwaltungsgericht urteilt: Einberufungen zur Bundeswehr sind willkürlich, denn es gibt zu viele Ausnahmetatbestände. Rekrut muss nicht wieder in die Kaserne. Einberufungsbescheide werden fragwürdig. Bundesgericht muss endgültig entscheiden

AUS KÖLN PASCAL BEUCKER

Christian Pohlmann strahlte über das ganze Gesicht. „Jetzt kann ich mich wieder als freier Mensch fühlen“, freute sich der 21-jährige Kerpener. Und er hat allen Grund dazu: Der junge Mann mit dem Spitzbärtchen unterm Kinn muss nicht wieder zurück in die Kaserne nach Gerolstein, wo er vier Tage hatte marschieren müssen. Das entschied gestern das Kölner Verwaltungsgericht.

Doch nicht nur das: Mit ihrem Urteil bringen die Richter die Wehrpflicht in der Bundesrepublik ins Wanken. „Ich fühle, dass das vielleicht etwas Historisches ist“, kommentierte Pohlmann pathetisch und sichtlich ergriffen die Entscheidung.

Pohlmann, der Islam- und Politikwissenschaften sowie öffentliches Recht an der Bonner Universität studiert, hatte sich gegen seine Einberufung gewehrt, weil er in der Unterbrechung seines Studiums eine unzulässige „besondere Härte“ sah. Dagegen hatte die zuständige Wehrbereichsverwaltung West jedoch argumentiert, der Kläger sei noch nicht in einem förderungswürdigen Stadium seines Studiums, da er sich erst in den ersten Semestern befände. Doch auf diese Fragestellung ließ sich die Kammer erst gar nicht ein. Den Richtern ging es um Grundsätzliches: die Frage der Wehrgerechtigkeit. Und die haben sie gestern beantwortet. Nach Ansicht des Gerichts verstoßen die seit 1. Juli 2003 geltenden Einberufungsrichtlinien dagegen.

Nach diesen Richtlinien sind verheiratete Wehrpflichtige ebenso vom Wehrdienst befreit wie über 23-jährige und junge Männer, die bei der Musterung nicht unter die ersten beiden Tauglichkeitsstufen fielen. Dadurch werde „eine erhebliche Gruppe wehrpflichtiger und -fähiger junger Männer vom Wehrdienst ausgeschlossen“, befand Richter Jürgen Kohlheim. Für diese weitgehenden Ausnahmen fehle jedoch die gesetzliche Grundlage. Auch wenn man von den über 340.000 potenziell Wehrpflichtigen die Kriegsdienstverweigerer, Untauglichen oder andere Ausnahmen herausrechne, würden dieses Jahr weit weniger als die Hälfte, rund 80.000, der dann noch Übriggebliebenen ihre Einberufung erhalten, rechnete Kohlmann vor. Mehr Einberufungsplätze sind nicht vorhanden.

Das bedeute jedoch eine nicht hinnehmbare „erhebliche Diskrepanz“, so Kohlmann. Denn somit könne nach der aktuellen Praxis nicht mehr davon die Rede sein, dass die Wehrpflicht allgemein greife und normalerweise jeden jungen Mann treffe. Die Folge, so Kohlmann: „Dann ist das Handeln einfach willkürlich.“ Jeder Wehrpflichtige könne aber verlangen, von Willkür verschont zu bleiben und nicht einberufen zu werden.

Damit bestätigte die Kammer ihre Eilentscheidung von Anfang Januar, die Pohlmann laut eigener Aussage „während einer Gewehrübung“ in der Kaserne erreicht hatte. In anderen Eilverfahren hatten Verwaltungsgerichte allerdings anders entschieden. Die Kölner Verwaltungsrichter fällten aber das erste Urteil im Hauptsacheverfahren. „Jetzt wissen die jungen Männer, sie müssen nicht, wenn sie nicht wollen“, sagte der bei den Jungen Liberalen aktive Pohlmann nach dem Urteil.

Das ist jedoch eine etwas verfrühte Schlussfolgerung. „Es handelt sich um die Entscheidung in einem Einzelfall“, erklärte Gerichtssprecher Klaus-Peter Uhlenberg. Allerdings hätten Eilanträge gegen Einberufungsbescheide nun sicher gute Aussichten. Zudem ließ das Verwaltungsgericht aufgrund der „grundsätzlichen Bedeutung“ eine Revision zu. Eine endgültige Entscheidung wird das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig treffen müssen, „möglicherweise noch in diesem Jahr“, so Uhlenberg.