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Archiv-Artikel

Jedem sein 17. Juni 1953

Vom Nutzen der Erinnerung: In der Woche vor dem 50. Jahrestag des Volksaufstands in der DDR sieht sich jede Fraktion im Abgeordnetenhaus auf der Seite der moralischen Sieger – sogar die PDS

Die PDS verfolgt beim 17. Juni 1953 eine doppelte Kommunikation

von ROBIN ALEXANDER

Eigentlich müsste der fünfzigste Jahrestags des Volkaufstandes in der DDR ein schwieriges Datum für die Stadt sein: Viele, die am 17. Juni 1953 zuerst auf der damaligen Stalinallee demonstrierten, leben noch. Und einige, die diese Menschen nach der Niederschlagung verfolgten, verurteilten und jahrelang einsperrten, auch. Der 17. Juni ist aber kein schwieriges Datum. Im Gegenteil: Die Erinnerung an den 17. Juni scheint eine günstige Ressource geworden zu sein, die man für praktisch jeden Zweck ausbeuten kann.

Beim Antritt vor zwei Jahren wurde Klaus Wowereit am 17. Juni noch von Opfervertretern geschnitte. In diesem Jahr setzte seine rot-rote Koaliton das Erinnern auf die Tagesordnung des Abgeordnetenhauses. Noch vor zwei Wochen war das nicht vorgesehen: Der Ältestenrat hatte einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen für ausreichend empfunden.

Dann geriet der Senat, der gerade um einen Doppelhaushalt ringt, in Streit und schwere Wasser. Damit dies nicht durch eine Parlamentsdebatte zusätzliche Öffentlichkeit finde, erinnerten sich SPD und PDS an den 17. Juni. Also wurde die Geschichte debattiert – nicht das aktuelle Gerangel im Senat. „Schäbig, ausgerechnet den 17. Juni dafür zu instrumentalisieren“, schimpfte Sibyll Klotz, die Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen.

In der gemeinsamen Erklärung gedachte das Parlament noch einmütig „derer, die schon früh Mut und Zivilcourage bewiesen haben“. In der Debatte traten dann Unterschiede hervor: Die Redner scheuten sich nicht, die Akteure des 17. Juni als Zeugen ihrer jeweiligen Weltanschauung anzurufen.

Der Abgeordnete Andreas Appelt von der CDU spannte die Demonstranten für einen Appell ans Nationalgefühl ein: „Unser Selbstverständnis als Nation lässt sich durch den 17. Juni 53 definieren.“ In die gleiche Kerbe schlug der FDP-Parlamentarier Axel Hahn. Der Neuköllner Abgeordnete verstieg sich am Ende seiner Rede sogar zu einer grotesken Gleichsetzung mit der Französischen Revolution: „Der 17. Juni 1953 steht würdig neben dem 14. Juli 1789.“ Noch mehr Kopfschütteln erntete nur der FDP-Fraktionschef Martin Lindner. Er forderte allen Ernstes, den 17. Juni wie früher zum Feiertag zu machen – und dafür den Arbeiterfeiertag 1. Mai aufzugeben.

Wowereit erinnerte in einer ruhigen Rede daran, dass der Aufstand zwar „ein Meilenstein“ gewesen sei, „zugleich aber auch eine Katastrophe, weil für Jahrzehnte die Hoffnung auf die Verbesserung der Lebensverhältnisse, auf Demokratie und freie Wahlen in der DDR zunichte gemacht wurde“. Der Senat wird eine eigene Veranstaltung am Abend des 16. Juni im Roten Rathaus ausrichten.

Die in diesem Zusammenhang interessanteste Partei ist die PDS. Im Abgeordnetenhaus ließ sie keinen Zeitzeugen aus den eigenen Reihen reden, sondern den 30-jährigen Stefan Liebich und den 34-jährigen Carl Wechselberg. Liebich las ausführlich aus seinem DDR-Geschichtsbuch vor und zitierte kontrastierend Stefan Heym.

Die PDS verfolgt in historischen Fragen seit Jahren einen Kurs der doppelten Kommunikation: Der Ehrenvorsitzende Hans Modrow etwa knüpfte vor wenigen Tagen an die alte Propaganda an: „Westdeutsche und Westberliner Kräfte, darunter Medien, mischten sich völkerrechtswidrig in die damaligen inneren Angelegenheiten der DDR ein.“ Jüngere Politiker sprechen hingegen historische Fakten öffentlich aus, um die Mitglieder daran zu gewöhnen. Dieses pädagogische Unternehmen hat nur begrenzt Erfolg: Petra Pau, die in dieser Frage mutigste PDS-Politikerin, ist in vielen Basisgruppen nicht mehr wohlgelitten. Liebich ist deshalb vorsichtiger als seine Vorgängerin. Der Berliner Landesverband der PDS und die Stiftung der Partei haben extra zum Jubiläum drei Buchprojekte in Auftrag gegeben, die gestern vorgestellt wurden. Die Historikerin Wilfriede Otto erläuterte den von ihr vorgelegten Band mit SED-Dokumenten: „Der 17. Juni war ein ganz großer politischer Betrug an der SED-Mitgliedschaft.“

Liebich erinnerte daran: Auch SED-Mitglieder seien in den Streikleitungen aktiv gewesen und anschließend in der DDR kriminalisiert worden. Bei der SED habe es damals ebenso Opfer gegeben. Auch die PDS zählt sich heute zu den moralischen Gewinnern.