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Archiv-Artikel

Knapp vorbei an der Lächerlichkeit

Der vermeintliche Fußball-Vizeweltmeister Deutschland müht sich auf den Schafsinseln in letzter Minute zu einem 2:0.DFB-Teamchef Rudi Völler sieht damit zwar die Pflicht erfüllt, weiß aber auch, dass das auf Dauer nicht genügen wird

von FRANK KETTERER

Der Winter auf den 18 kleinen Inseln kann hart sein, verdammt hart. Der Wind heult dann grausig wie ein Wolf, der Schnee stöbert wild durch die graue Nebelsuppe, und Eiszapfen wachsen munter um die Wette. Keinen Hund würde man bei solch einem Winterwetter vor die Türe treiben, und auch nicht den Lehrer, den Eisverkäufer oder den Tankwart. Die bleiben, wie alle Menschen auf den 18 Inseln, im Winter doch lieber zu Hause im Warmen bei Frau und Kind und grillen der Familie ein Festmahl über dem gemütlich knisternden Feuer im offenen Kamin, zum Beispiel einen Papageientaucher, den sie sogleich an einem netten Mus aus Zucker, Eiern und Rosinen kredenzen. Man muss dafür Verständnis haben, bei der Saukälte draußen, die Menschen auf den Färöer-Inseln jedenfalls haben es, auch wenn sie es später, wenn es langsam Frühling wird im Land und noch langsamer Sommer und die Quecksilbersäule schließlich auf wohlig-warme zehn Grad steigt, bitterlich bereuen. Dann nämlich geht dem Lehrer, dem Eisverkäufer und dem Tankwart, also der Fußball-Nationalmannschaft, bisweilen die Puste aus. Der ein oder andere Papageientaucher zu viel auf den Rippen macht sich bemerkbar, und es fehlen die ausgedehnten Läufe durch den Winter, die Kraft schenken und Kondition. Kondition, um 90 Minuten und ein paar mehr eine Wiese rauf und runter rennen zu können, Kondition für ein ganzes Fußballspiel.

Rudi Völler, Teamchef der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, in der kein Lehrer mitkickt und auch kein Tankwart oder Eisverkäufer, dürfte am Mittwochabend heilfroh gewesen sein, dass die Winter auf den Inseln der Schafe so unwirtlich sind und auch noch so lang. Jedenfalls hat ihm die Kurzatmigkeit der Färinger Nationalkicker die gröbste Blamage gerade noch so erspart, weil zuerst Miroslav Klose und dann auch noch Fredi Bobic den Ball in die Maschen hinter Torwart Mikkelsen setzen konnten, geschehen in Minute 89 und in der Nachspielzeit. Für die zuvor so wacker ackernden Färinger, in der Fifa-Weltrangliste als Nummer 113 geführt, war das ein großes Unglück, auch wenn sie es tapfer zu tragen wussten; den Deutschen, vor etwas mehr als einem Jahr Vizeweltmeister geworden, ersparte es gerade noch, vollends der Lächerlichkeit preisgegeben worden zu sein; sonderlich stolz darauf gaben sie sich nach dem Spiel im mit 6.500 Zuschauern ausverkauften Törsvöllur-Stadion nicht. Wenigstens das blieb dem deutschen Fußball-Fan erspart.

Wobei: Ein paar fade Sprüche sowie faule Ausreden für den erneuten Katastrophenkick der DFB-Elf gab es schon auch diesmal. „Wir haben gewonnen, das zählt“, meinte etwa Christian Wörns mit dem Temperament eines vor dem Stadion grasenden Schafes. „Unvermögen“ wieder machte Torschütze Bobic als Quell allen Übels aus. „Vielleicht kann man Unvermögen dazu sagen. Man kann alles dazu sagen“, sagte Bobic dazu. Und wenn man das schon kann, kann man es bestimmt auch Unfähigkeit nennen, spielerische Unfähigkeit.

Denn auch wenn die Deutschen bereits vor den beiden Treffern dreimal an den Pfosten geballert hatten, das Vorhandenseins eines Konzepts, wie den Fußball-Amateuren von den 18 Inseln und ihrer doppelten Viererkette beizukommen sei, wurde in den gesamten 90 Minuten nicht erkennbar. Weder Bernd Schneider noch Sebastian Kehl, der für den verletzten Michael Ballack ins Team gerückt war, konnten für Ordnung oder gar Ideen sorgen, auch die von Völler vorgesehene Flügelzange mit Tobias Rau (links) und Paul Freier (rechts) blieb ohne Zugriff aufs Spiel. Am Ende half den deutschen Zufallskickern nur noch das Spiel auf Zeit – und das Hoffen, dass irgendwann der Winter Wirkung zeigen würde.

Für Rudi Völler aber steht nun erst mal der Sommer an und mit ihm die Länderspiel-Pause. Und auch wenn der deutsche Teamchef den letzten Auftritt vor dem Urlaub gnädig beurteilte („Im Prinzip kannst du gegen solche Mannschaften nicht anders spielen“), gab er doch zu, mit einiger Wehmut an jene Zeit zurückzudenken, in der auch er noch ein ganz normaler Spieler war – und noch nicht verantwortlich für jene mittelmäßig begabte Kickeransammlung, die unter dem vermeintlichen Gütesiegel deutsche Fußball-Nationalmannschaft firmiert. Was Völler damit sagen wollte: Während all die Kahns und Ballacks und wie sie alle heißen frohgemut zum Ausspannen fahren, wird ihm, der Republik oberstem Fußballlehrer, auch in der fußballfreien Zeit der Ball doch arg auf die Stimmung drücken. So gut wie der letzte Sommer und mithin das Fußballfest in Asien vorgegaukelt haben, ist der deutsche Fußball nämlich keineswegs. Völler hat das immer gesagt – das auf den Färöer-Inseln zu Ende gegangene Fußballjahr nach der WM hat ihm das nur bestätigt. „Wir haben unsere Pflicht erfüllt, mehr nicht“, stellte Völler am späten Mittwochabend im Jahresrückblick fest. Die Pflicht lässt sich in der Tabelle der EM-Qualifikationsgruppe fünf ablesen: Erster ist Deutschland dort mit elf Punkten aus fünf Spielen, immerhin das. Mehr aber ist nicht; schon gar nicht lässt sich der Irrglaube aufrechterhalten, bei der deutschen Mannschaft handele es sich um das zweitbeste Team der Welt, in das man nur noch den ein oder anderen jungen Wilden einbauen müsse, um bei der WM in drei Jahren im eigenen Land bestehen zu können oder schon nächstes Jahr bei der EM in Portugal. Im Spiel gegen die Färinger beispielsweise haben vor allem Rau und Freier gezeigt, dass sie noch lange nicht so gut sind wie ihr Ruf; andere wie Hinkel, Kurany oder Lauth sind erst noch gar nicht so weit. Rudi Völler weiß all das, auch wenn er es manchmal nicht so offen ausspricht. Nach dem Spiel gegen die Färöer hat der Teamchef gesagt: „Wir haben ein schwieriges Jahr hinter uns.“ Er hätte auch sagen können: „Wir haben ein schwieriges Jahr vor uns.“ Ganz egal, wie hart der Winter wird.