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Archiv-Artikel

Im Atom-Getriebe

Er ist Reaktorphysiker – und passionierter Atomkraft- gegner. Richard Donderer verhandelt, wie AKW sicherer werden könnten – und würde sie am liebsten abschalten. Ein Zwiespalt vielleicht

Ein Foto? Richard Donderer wehrt ab. „Sonst sagen die Leute doch: ,Das ist der Reaktor-Fuzzi von nebenan.‘“ Der Bremer „Reaktor-Fuzzi“, der mit zotteligen Haaren und zerrissenen Jeans im Café im Viertel Cortado schlürft, macht auch als Mitglied der Reaktorsicherheitskommission (RSK) des Umweltministeriums keinen Hehl aus seiner Einstellung: Atomkerne spalten und „für ein paar Kilowattstunden“ jahrtausendelang strahlende Abfälle hinterlassen – da gebe es „intelligentere Methoden der Stromerzeugung“, sagt Donderer.

Als Student stand er mit Tausenden in Wyhl und Brokdorf auf dem Acker, um gegen den Bau der AKW zu protestieren. Heute diskutiert Donderer als Mitglied der Kommission, wie man Atommeiler sicherer machen könnte. Damit etwa eine Wasserstoffexplosion, wie sie vor anderthalb Jahren direkt am Sicherheitsbehälter des AKW Brunsbüttel drei Meter Rohrleitung zerfetzte, ein wenig unwahrscheinlicher wird. „Wir sind nicht dazu da, zu sagen: ,Schaltet die Dinger ab‘“, sagt Donderer über sein Ehrenamt.

Früher hätte sich das anders angehört. Donderers Studienzeit war die Zeit der großen AKW-Debatten. Dem konnte sich der Physikstudent an der Uni Bremen nicht entziehen: Statt Spektralfarben zu analysieren, machte Donderer die eher trockene Reaktortechnik zu seinem Spezialgebiet, berechnete Kernspaltungen und Neutronenflüsse. Und wurde so zum Experten für eine Technik, die er ablehnte.

„Erstmal alles nicht glauben“, ist noch heute sein Credo. Zum Studienabschluss lieferten ihm Regierung und Atomindustrie dafür eine Steilvorlage: den „Schnellen Brüter“ in Kalkar. Der sollte nach dem Willen der Planer nicht nur Unmengen von Strom, sondern sogar noch mehr Plutonium erzeugen, als er selbst verbrauchte.

Donderer, frisch diplomiert, machte sich damals mit einem Studienkollegen selbstständig. Sein „Bremer Physikerbüro“, mit dem er bis heute Geld verdient, schrieb die Gutachten für die Bürgerinitiative, später auch für die Landesregierung in Düsseldorf. Donderer wies nach, dass bei Ausfall der Kühlung der ganze Reaktorkern bersten könne. „Der geht dann nicht aus, sondern gibt nochmal richtig Gas“, sagt der Physiker: „Ähnlich wie in Tschernobyl.“ Auch wenn 1991 letztlich die Finanznot den Ausschlag für den Stopp des Milliarden-Projekts „Schneller Brüter“ gegeben haben mag: Donderer ist sicher, seinen Teil zum Tod seines „Lieblingsreaktors“ beigetragen zu haben: „Wir waren Sand im Getriebe.“

Heute ist er eher ein Rädchen darin. Im Frühjahr 1999 rief das Bundesumweltministerium an, bot ihm einen Sitz in der 14-köpfigen Reaktorsicherheitskommission an. Deren Mitglieder sollten „die gesamte Bandbreite der nach dem Stand von Wissenschaft und Technik vertretbaren Anschauungen“ repräsentieren, hatte Minister Trittin beschlossen. Donderer, der als einer von drei passionierten Atomkraftgegnern im Gremium gilt, überlegte zwei Tage.

In der RSK hat er vor allem mit technischen Details zu tun: Ob drei oder vier Pumpen im AKW nötig sind, ob sie rechts oder links herum drehen müssen. Über Atomkraft an sich wird nicht gestritten. „Wir stellen keine energiepolitischen Regeln auf“, sagt Donderer über seinen „Job“, zieht die Stirn in Falten und kratzt sich am Bart. „So bin ich eigentlich nicht angetreten.“

Aber: „Es gibt keine andere Möglichkeit“, sagt er. „Wenn die Dinger mal stehen, ist die Grundsatzentscheidung gefallen.“ Und: „Wem würde eine Fundamentalopposition heute nützen?“

Dennoch steht er mit seinen Vorstellungen in der Kommission häufig allein da. Jüngstes Beispiel: Die geplanten Brennelemente-Zwischenlager, die in Süddeutschland mit dünneren Wandstärken als im Norden gebaut werden dürfen. Donderer ist enttäuscht: „Da hätte man ohne großen Aufwand dafür sorgen können, die heute bestmögliche Schadensvorsorge durchzusetzen.“

Selbst westliche AKW hält der Bremer immer noch für unsicher. Im Auftrag der Staatsanwaltschaft nahm er zuletzt das schwäbische AKW Obrigheim unter die Lupe. Ergebnis: Wie bei den Reaktoren in Philippsburg scherte sich die Betreiberin EnBW auch beim ältesten kommerziellen Reaktor Deutschlands nicht um die Vorschriften. Über Jahre hinweg, und, wie Donderer betont, „nicht aus Versehen“, war der Sicherheits-Vorrat an boriertem Wasser beim Anfahren des Reaktors zu gering; selbst bei längerem Betrieb des AKW blieb der Füllstand des Behälters wegen eines Rechenfehlers der Mannschaft zu niedrig. Bei einem Störfall soll die Flüssigkeit eigentlich den Reaktorkern fluten und die atomare Kettenreaktion stoppen. Donderer: „Anscheinend war den Betreibern das nicht so wichtig.“ Die Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen Verdachts auf „unerlaubtes Betreiben einer kerntechnischen Anlage“ laufen noch – Strafmaß: Geldbuße oder bis zu fünf Jahre Knast.

Ob die EnBW wegen seines Gutachtens ihre Betreiber-Lizenz verliert? Donderer zweifelt. „Das ist eher eine politische Frage“, sagt er. Umweltminister Trittin hat erst Anfang des Jahres dem Weiterbetrieb des AKW bis 2005 zugestimmt.    Armin Simon