: Keine bigotte Verdammnis
Eine kompensatorische Empörung prägt die Debatte um die Flick-Sammlung: Die Gesellschaft projiziert verdrängte historische Defizite auf den Flick-Erben – ein Zwischenruf des Kultursenators
von THOMAS FLIERL
Schizophrener hätte die Berichterstattung über die öffentliche Diskussion zur Übernahme der Flick-Sammlung im Mai dieses Jahres im Berliner Ensemble nicht sein können. In der Berliner Zeitung war zu lesen, ich hätte mir von Lea Rosh die Unterstützung für ein Dokumentationszentrum über die NS-Verbrechen der deutschen Wirtschaftseliten „abschwatzen“ lassen, während Robin Alexander in der taz mitteilte, ich hätte an der „Rehabilitierung der schlimmen Familie“ mitgewirkt.
Bereits zu Jahreswechsel, als Klaus-Peter Schuster für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und Klaus Wowereit für das Land Berlin die geplante Präsentation der Flick-Sammlung in Berlin ankündigten, hatte ich auf die Ambivalenz dieses Vorgangs verwiesen, der sich unreflektiertem Jubel ebenso entzieht wie bigotter Verdammnis. Er fordert vielmehr Nachdenken und Differenzierungsvermögen heraus. Mein Plädoyer, die Präsentation der Flick-Sammlung mit einer nüchternen Dokumentation der Auseinandersetzung um die Übernahme der Sammlung zu verbinden, wird gleich von zwei Seiten missverstanden.
Beiden Positionen ist die Mystifikation des Verhältnisses von Schuld und Verantwortung in der Generationsfolge einer Familie (und Gesellschaft) eigen. Weil Friedrich-Christian Flick tatsächlich keine persönliche Schuld an der verbrecherischen NS-Verstrickung seiner Vorväter treffe, sei der Verweis auf die ursprüngliche Akkumulation des ererbten (und später gemehrten) Vermögens ungehörig und ehrenrührig, meinen die einen. Die anderen sehen im 1997 intern geäußerten Motiv des Sammlers, seinen Familiennamen „mit dieser kulturellen Leistung … auf eine neue und dauerhaft positive Ebene“ zu stellen, den Skandal. Ich kann beides nicht nachvollziehen.
Wie entsteht Reichtum?
Weder kann man Menschen vorwerfen, der eigenen, von den Vorfahren geschriebenen (Familien-)Geschichte neue positive Seiten hinzufügen zu wollen, noch sollte eine Gesellschaft verdrängen, wie und in wessen Händen sich Reichtum bildet und vererbt. Weder kann es ein Kollektivsubjekt „schlimme Familie“ geben, noch sollte man von Verhältnissen absehen, unter denen Menschen handeln und sich darin immer auch ihrer Geschichte stellen.
Es hat etwas Kompensatorisches, wenn eine Gesellschaft, die darauf verzichtete, Nazi- und Kriegsverbrecher zu enteignen, die sich der alten Eliten für den Wiederaufbau und die Westbindung der Nachkriegsgesellschaft bediente und die selbst für die hoffnungslos verspätete Entschädigung der Zwangsarbeiter/innen nur eine mühsame Kombination von Steuerfinanzierung und freiwilliger Initiative der Wirtschaft fand, die große Unternehmen aus der Mitfinanzierung öffentlicher Ausgaben schrittweise befreit, die eine Wiedereinführung der Vermögensteuer beziehungsweise die Erhöhung der Erbschaftssteuer scheut, wenn diese Gesellschaft nun ihre Empörung (über die verdrängten eigenen Defizite?) auf den Enkel des personifizierten Unheils projiziert.
Natürlich wäre es naiv, zu übersehen, dass die Berliner Republik eine erhöhte Anfälligkeit für national-konservatives Gedankengut hegt. Das Zeitgeistpendel schlägt derzeit eher nach rechts, denn nach links aus. Vor diesem Hintergrund ist der widerständige Reflex einer linken Historiographie mehr als verständlich. Zumal dann, wenn die Leerstellen und Tabus der Nachkriegsgeschichtsschreibung (Bombenkrieg, Umsiedlungen) in wachsendem Maße restaurative Deutungen erfahren. Aber auch ein linker, moralisch aufgeladener Populismus ist abstoßend, hilflos und arrogant.
Keine Instanz zwingt Friedrich-Christian Flick, sich der Geschichte seiner Familie öffentlich zu stellen. Hätte er sein Vermögen ausschließlich privat konsumieren wollen, würde heute kaum jemand über die nationalsozialistischen Verstrickungen und Verbrechen der Vater- und Großvater-Generation Flick debattieren. Nur weil es diese Sammlung gibt und sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll, findet der Diskurs überhaupt statt.
Hier in Berlin und nicht in Zürich oder New York ist deshalb auch der Ort, sich der Geschichte der Sammlung, des Sammlers und der Kontroverse um die öffentliche Repräsentation eben dieser Sammlung zu stellen.
So sehr jede private Kunstsammlung auch Wertanlage ist und es interessant wäre, dem Verhältnis von Kunst- und Finanzinteresse konkret nachzugehen, die Flick-Sammlung folgt unstrittig keinen konservativen oder gar restaurativen kunstpolitischen Zielen. Sie sei antitotalitär inspiriert und stelle eine wichtige Ergänzung der Sammlungen der Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof dar, sagen übereinstimmend alle Fachleute.
Flick hat sich auf seine Weise seiner Verantwortung gestellt: mit seiner persönlichen politischen Distanzierung von den NS-Verstrickungen seiner Vorväter, mit der kulturellen Dimension seiner Kunstsammlung, mit der Errichtung einer Stiftung, die Projekte gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit unterstützt. Manchen reicht dieses nicht. Man könnte sich mehr wünschen. Das kann man, fordern kann man es indes nicht.
Die Weigerung Flicks, als Privatperson in den Zwangsarbeiterfonds einzuzahlen, empört vor dem Hintergrund der katastrophalen Lage vieler bedürftiger Überlebender des Systems der NS-Sklavenarbeit in Osteuropa. Im Gegensatz zu anderen Unternehmen hat die Flick-Gruppe ihren Beitrag jedoch erbracht. Wenn jetzt von Friedrich-Christian Flick ein freiwilliger Geldbetrag erwartet wird, wie ihn andere als Privatpersonen in der Tat geleistet haben, dann erinnert solcherlei Forderung im Zusammenhang mit der Debatte um die Sammlung Flick an einen Ablasshandel: Man nähme sich selbst die Übernahme der Kunstsammlung nicht mehr so übel, wenn Flick einen zusätzlichen Beitrag leistete. Dahinter steht die Illusion, die Kunst in ungestörten, reinen Verhältnissen zu präsentieren. Und wenn schon nicht durch Geld, dann könne dies durch eine Reinigungsprozedur geschehen. So ist die Forderung zu verstehen, der Präsentation der Flick-Sammlung ein Dokumentationszentrum der NS-Verstrickung der deutschen Wirtschaftseliten vorzulagern.
Die Debatte reflektieren
So überzogen und falsch ich diese Forderung im Zusammenhang mit der Flick-Sammlung finde und darin mehr eine gemeinsame Aufgabe der Stiftung der Topographie des Terrors und der deutschen Unternehmerverbände sehe, bei der öffentlichen Präsentation der Flick-Sammlung muss die stattfindende Debatte auf eine angemessene Weise reflektiert werden. Nur so kann die (selbst diskursiv angelegte) Kunst über ihren eigenen ästhetischen Kontext hinaus eine Wirkung entfalten, die historisches Verständnis befördert. In welcher Form das geschieht, ist offen. Ich kann mir eine der Ausstellung beigefügte Dokumentation der Auseinandersetzung um die Übernahme der Sammlung vorstellen oder einen Katalog, der diese Kontroverse dokumentiert beziehungsweise ein öffentliches Forum, das die Ausstellung vorbereitet und/oder begleitet. Ein Verzicht auf jede reflektierte Auseinandersetzung würde die Schizophrenie unbearbeitet lassen, Verdrängung und Denunziation willkommenen Anlass bieten.
Im Übrigen verweist die Debatte um die Übernahme der Flick-Sammlung auf eine allgemeinere Tendenz: Neben den präsentierten Objekten und der dazugehörigen Metaerzählung der Kunstgeschichte wächst die Sensibilität gegenüber der Sammlungsgeschichte. Seien es die Bemühungen um die Dokumentation der Verluste der öffentlichen Museen infolge der NS-Aktionen „Entartete Kunst“ oder die Offenlegung von Kunstwerken „ungewisser Herkunft“ in öffentlichen Sammlungen, die zumeist aus jüdischem Besitz stammen.
Die Staatlichen Museen zu Berlin sind ohne private Sammler und Stifter nicht zu denken. So verdanken viele Exponate ihre Präsenz dem jüdischen Großkaufmann James Henry Simon (1851–1932). Simon darf mit Fug und Recht als der bedeutendste Sammler und Mäzen gelten, den die staatlichen Museen je hatten. Der Gründer der Deutschen Orientgesellschaft und Stifter wertvoller Renaissance-Sammlungen unter anderem für das heutige Bodemuseum war einst Europas größter Baumwollhändler und hat sein Vermögen vor allem durch den Handel mit Uniformen gemacht. Womit verdienten die heutigen Stifter ihr Geld?
Das könnte der Fortschritt sein: Die zeitgenössische Kunst und das moderne Museum täuschen sich über die Bedingungen, unter denen sie existieren und ihre Eigenständigkeit behaupten, nicht länger hinweg.