zahl der woche
: Bestandteil der neuen europäischen Verfassung soll auch der steinalte Atomvertrag Euratom werden

Die Hartnäckigkeit des alten Europa

Joschka Fischer macht derzeit einen schlechten Job. Als Grüner. Als Außenminister. Als Europäer. Dieses Urteil begründet die deutsche Umweltbewegung mit Euratom. Und mit Fischers Rolle im Verfassungskonvent.

Der Reihe nach: Der 1957 unterzeichnete Euratom-Vertrag ist einer der vier Gründungsverträge der europäischen Staatengemeinschaft. Er soll die „Voraussetzung für die Entwicklung einer mächtigen Kernindustrie“ schaffen, heißt es in der Präambel. Damals tönte Admiral Lewis Strauss, Vorsitzender der US-Atomkommission, durch AKWs werde Strom so billig, dass es sich „nicht mehr lohnt, den Verbrauch zu messen“. Die Zeiten haben sich geändert. Nicht aber der Euratom-Vertrag: Als einziger der Gründungsverträge wurde er nie geändert.

Dabei geht es nicht so sehr um Geld: Euratom stellt eine Kreditlinie von 4 Milliarden Euro bereit, mit der AKWs erneuert oder gebaut werden sollen. Diese könnte noch um 2 Milliarden Euro aufgestockt werden. Das atomaussteigende Deutschland müsste 400 Millionen zahlen. Zur Erforschung neuer Atomtechniken sieht Euratom 1,5 Milliarden binnen drei Jahren vor.

Es geht also um ökonomische Privilegien für Atomkraft. Bestimmungen zur Anlagensicherheit, Endlagerung oder zu Bauweise und Betrieb von Atomanlagen enthält der Vertrag dagegen nicht. Solcherlei wurde 1957 sekundär behandelt.

Es geht vor allem um das Selbstverständnis Europas: Euratom ist der einzige Vertrag zur europäischen Energiepolitik. Und das soll so bleiben: Der neuen EU-Verfassung ist Euratom angehängt – besitzt also verfassungsrechtlichen Statuts.

Entsprechend sauer sind etwa BUND, Greenpeace und DNR auf Deutschlands obersten Verfassungsverhandler. Fischer setzte den Beschluss des Bundestags vom 12. März nicht um, nach dem sich Deutschland bei den Reformverhandlungen für ein Ende des Euratom-Vertrages einsetzen sollte. Der der taz vorliegende Schriftverkehr mit Konventspräsident Valéry Giscard d’Estaing zeigt, dass Fischer lediglich versuchte, Euratom eine eigene „Rechtspersönlichkeit“ zu geben – also den Verfassungsstatus zu umgehen. Damit ist er gescheitert. Die Atomnationen Frankreich, Großbritannien, Spanien, Finnland haben sich durchgesetzt.

Allerdings nicht wegen Fischer. Sagt Fischer. Und sein Sprecher sagt, das Gegenteil sei der Fall: Wegen Fischers energischen Einsatzes sei Umweltschutz prominent im Verfassungsentwurf aufgenommen worden. Die Lesart: Im Anhang zur Verfassung sei festgehalten, welche technischen Änderungen der Euratomvertrag durchlaufen müsse, um mit dem Entwurf kompatibel zu bleiben.

Der Sprecher sagt aber auch: Es habe gegolten, realistische Ziele durchzusetzen. Europas energiepolitische Realität 2003 ist auf dem Stand von 1957. Altes Europa. NICK REIMER