: „Werther würde heute nicht mehr Selbstmord begehen. Er würde im Internet nach einer anderen Frau suchen“
Die Soziologin Eva Illouz über die romantische Liebe in Zeiten des Kapitalismus, Partnerwahl im Internet und das Dilemma der Konservativen
INTERVIEW SUSANNE LANG
taz: Sie müssen mit Ihrem Buch „Der Konsum der Romantik“ einige Menschen glücklich gemacht haben: Sie sprechen von einem Happy End romantischer Liebe in unserer ökonomisierten Welt.
Eva Illouz: Nun ja, ich habe mich nicht damit beschäftigt, ob Menschen ihren Wunsch und ihre Vorstellung von romantischer Liebe verwirklichen, sondern damit, wie. Und daran hat unsere Konsumkultur den entscheidenden Anteil. Sie begleitet und beeinflusst die romantische Liebe, entzaubert sie aber nicht.
Konsum und Romantik – das ist doch ein Widerspruch?
Nur auf den ersten Blick. Die Konsumkultur bietet den Menschen alle Arten von Träumen, sie basiert auf Wünschen und Illusionen. Genau diesen Traumcharakter hat auch die romantische Liebe. Ein Zusammenhang besteht darin, dass die Konsumkultur die Bedürfnisse der Romantik befriedigt. Zum Beispiel Kosmetikartikel: Sie versprechen und vergrößern die Attraktivität, die ja in der Liebe eine wichtige Rolle spielt.
Romantische Liebe ist demnach käuflich?
Mit Sicherheit nicht im Supermarkt. Aber das, was wir seit dem 20. Jahrhundert zunehmend als romantische Augenblicke empfinden, diese romantische Atmosphäre, die Menschen ihre Gefühle gegenüber den Partnern intensiver spüren lässt, wird als Konsumprodukt angeboten: Wir gehen in Restaurants für ein romantisches Dinner, wir verabreden uns im Kino, wir gönnen uns exklusiven Champagner.
Ist die romantische Liebe zum Luxusartikel geworden?
Heute nicht mehr. Seit dem 20. Jahrhundert ist Liebe schon deshalb kein Luxusartikel mehr, weil Freizeit zu einem allgemeinen Recht geworden ist. Und zwar sowohl für die Arbeiter- als auch für die Mittel- und Oberschicht. Im 19. Jahrhundert dagegen war eine bestimmte Form der Liebe tatsächlich für Eliten reserviert: Sie basierte auf einem gewissen Grad an Kultiviertheit, der es ermöglichte, dass Menschen ihre Gefühle reflektieren.
Liebe beschränkt sich aber doch nicht auf Freizeit.
Wo romantische Liebe heute tatsächlich zu einem Luxus wird, ist die Ehe. Bei verheirateten Paaren erhalten Alltag und die materiellen Dinge des Lebens eine größere Bedeutung, sodass sie sich umso mehr die Zeit nehmen und Geld investieren müssen, um aus der gemeinsamen Routine auszubrechen.
Sie sind verheiratet. Im Nachwort Ihres Buches danken Sie Ihrem Mann, der sich um Kinder und Haushalt kümmerte, während Sie schrieben. Gelebte Romantik?
Wenn man ein Thema wissenschaftlich bearbeitet, heißt das ja nicht notwendigerweise, dass man es nicht genießen kann. Das Buch ist auch Ergebnis dessen, dass ich selbst eine Konsumentin von Romantik bin.
Wenn Sie nicht arbeiten oder während Sie arbeiten?
Ich glaube, in unserer Kultur existieren zwei konkurrierende Liebesmodelle. Das romantische besteht in einer Erfahrung: spontan, plötzlich und überwältigend. Man ist fasziniert von einer Person, in die man verliebt ist. Das andere Modell ist das realistische. Es macht uns sehr misstrauisch gegen diese Romantik, sagt uns, dass es nicht von Dauer ist, nur ein Produkt von Hollywood-Klischees. Es kreist im Gegenzug darum, den Arbeitsalltag mit all seinen Schwierigkeiten zusammen zu meistern und dem andern die Hand zu halten, wenn er krank ist. Beide Modelle existieren gleichzeitig.
Welches ist stärker?
Die Konsumkultur gibt uns das Gefühl, dass das romantische das einzig wahre Modell ist, weil alles Spannende, Authentische und intensiv Erlebte eben realer erscheint als Dinge, die uns Opfer abverlangen und Mühe machen. Einerseits haben wir also über Filme, Werbung und Ähnliches die Vorstellung von der romantischen Liebe als absoluten Sinn des Lebens im Gepäck, andererseits ein großes Misstrauen gegen uns selbst. Die tiefe Sehnsucht nach Romantik bleibt aber, die Einsamkeit und Mühen des Alltags auffangen soll.
Welche Rolle spielen die Sehnsucht und das Leiden an der Liebe heute?
Ich glaube, dieses Ideal von der unerreichbaren Liebe existiert nicht mehr. Werther würde heute nicht mehr Selbstmord begehen, er würde wahrscheinlich einfach ins Internet gehen und nach einer anderen Frau suchen.
Wow.
Nun ja, moderne Romantik geht sehr ironisch mit Gefühlen um. Wir glauben eben nicht mehr an die eine große romantische Liebe, die das ganze Leben bestimmt, sogar bis in den Tod. Es gehört mittlerweile zu einem normalen Lebenslauf, Liebe als eine Serie von Erfahrungen zu betrachten und als einen Weg, uns selbst zu verwirklichen.
Das klingt sehr rational.
Ja, das ist es. Wir haben einen rationaleren Blick auf unser Leben, aber eben auch einen ironischeren. Wir lieben, aber wir reflektieren gleichzeitig unsere Erfahrungen und denken all die psychologischen Diskurse über Liebe mit: Ich liebe diese Person, weil sie mich an meinen Vater erinnert. Oder weil ich Opfer der Romantikindustrie bin und daher auf den großen Prinzen warte.
Werther im Internet? Ist das virtuelle Medium dazu geeignet, romantische Liebe zu finden und zu leben?
Im Gegenteil. Das Internet hat die Einstellung von Männern und Frauen zur Liebe grundsätzlich verändert, weil es einen riesigen Pool an möglichen Kandidaten eröffnet. Eine Suchmaschine kann bis zu 200 Treffer auf eine sehr individuelle Anfrage liefern. Im 19. Jahrhundert hatte eine Frau vielleicht drei Angebote in ihrem ganzen Leben. Beim zweiten überlegte sie sehr gut, ob sie es ablehnen sollte. Heute ist man extrem wählerisch. Liebe ergibt sich aus einem rationalen Suchprozess, den das Internet verstärkt hat: Man wählt nicht auf der Grundlage von körperlicher Präsenz oder Merkmalen, sondern nach Vorlieben, Bildungsgrad, Status, Alter und so weiter. Erst danach wartet die Hürde des ersten Treffens.
Wie anstrengend. Erschwert der Fortschritt die Liebe?
Ja sicher. Das habe ich lange vernachlässigt. Durch das Internet ähnelt das Verhalten eines Partnersuchenden dem eines Konsumenten noch mehr. Das virtuelle Gegenüber wird zu einem Produkt, man sucht nach dem besten. Bis man sich am Ende gar nicht mehr entscheiden kann, es könnte ja immer ein besseres Angebot warten. Das Internet eröffnet mehr Möglichkeiten, macht romantische Liebe so gesehen wahrscheinlicher, aber letztlich unerreichbarer.
Warum suchen wir eigentlich so sehr nach der romantischen Liebe, die zur Ehe führt? Was ist aus der Idee der 60er-Jahre geworden: Unabhängigkeit, freie Liebe?
Sie ist zwar nicht mehr sehr populär, aber die gesellschaftlichen Umwälzungen der 60er-Jahre wirken bis heute nach: das Recht auf Sexualität und die Freude, sie auszuleben. Nehmen Sie Serien wie „Sex and the City“: sie können nur existieren, weil es die 60er gab. Die Frauen suchen zwar den einen, wahren Partner, haben aber gleichzeitig keine Bedenken – und wir Zuschauer ja auch nicht –, im Lauf der Zeit viele Partner zu haben. Vor 30 Jahren wäre so eine Serie im Fernsehen undenkbar gewesen.
Manche Soziologen vertreten die These, dass das Bedürfnis nach Familie und Bindung wieder zunimmt, weil die soziale und wirtschaftliche Unsicherheit größer geworden ist.
Die Gesellschaft neigt in Situationen des sozialen Umbruchs dazu, bestimmte Institutionen für eine Verbesserung verantwortlich zu machen. In diesem Fall die Familie. Aber wenn Unsicherheit und Arbeitslosigkeit zunehmen, will man doch keine Debatte, die als Lösung der Probleme eine schöne, kuschelige Familie präsentiert. Vielmehr wünscht man politische Reaktionen auf ökonomische Veränderungen. Andererseits jedoch erleben wir, dass der Kapitalismus in einer sehr signifikanten Weise Familienstrukturen aufbricht. Und misstrauen daher ökonomisch orientierten Entscheidungen.
Starke Familie versus wirtschaftlicher Wohlstand?
Das ist ja das Dilemma der Konservativen, die nicht realisieren, dass das nicht vereinbar ist. Nicht von ungefähr beginnt der Zerfall der Familie im 20. Jahrhundert, als die kapitalistische Konsumgesellschaft stark geworden ist. Ich denke, gerade deshalb ist es an der politischen Linken, über die Rolle der Familie in neuen sozialen Modellen nachzudenken, über eine neue und vereinbare Beziehung zwischen Familie und Wirtschaft.