: Viele bunte Smileys
Nach New Wave ist jetzt endlich Acid House an der Reihe. Dabei funktionieren Revivalpartys wie eine Psychoanalyse: Man hört alte Tracks, die man gar nicht kannte, um die gegenwärtigen, die man kennt, besser zu verstehen
Überall klebten Smileys an den Wänden der innerstädtischen Bezirke; es ging um diese „Acidhouse-Revival-Party“ im Maria am Samstag. „Zurück zum Lächeln! Zurück zu den Gefühlen! Genug des ach so coolen NeoPunkElectroPop! No more fucking coolness!“, hatte es auf der Website der Maria geheißen. Dem stimmte man gerne zu, weil der Bass auf der Website so schön klang und weil man ja gerne noch mal gucken wollte, wie’s früher so war; Ende der 80er, Anfang der 90er, als die elektronische Tanzmusik noch jung, warm und schön war, und: „Bitte schreib jetzt nicht, als Techno noch ‚unschuldig‘ war!“
Während Techno damals in Berlin noch eher eine avantgardistische Randerscheinung war, hatten in England schon tausende auf illegalen Raves getanzt. Acid House war das Ding, die Trillerpfeife obligatorisch und in Thatchers England hatte man mit Hubschrauberunterstützung Raver gejagt. Das alles hatte eine große gesellschaftliche Bedeutung. In Berlin aber noch nicht so oder eher in Nischen, die sich erst langsam verbreiterten. Acid, nun ja, wie soll man sagen: „ein Echo hier, ein Echo da, die Acid Line mit ein wenig Phasing. Ein Anfang mit Aufbau, Steigerung der Intensität bis zum Break, weiterer Aufbau, die 303-Sequenzen schlingern durch das Stück“ (aus: „Techno“ von Philipp Anz und Patrick Walder).
In der Zeit, die revivalt wurde, hatte man kaum Acid House gehört. So war es Samstagnacht ein bisschen wie Geschichtsunterricht; man hörte alte Tracks, die man nicht kannte, um die gegenwärtigen, die man kennt, besser zu verstehen. Wie in der Psychoanalyse.
Das Maria sah jedenfalls prima aus. Zwei große Vasen mit bunten Blumen standen auf dem DJ-Pult, der an einen Altar erinnerte. Von der Decke über der Tanzfläche hingen 20 Smileys. Die Leute sahen berlinerisch aus, also vor allem schwarz-weiß. Ein Typ mit kurzen Haaren trug ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift „Spiel mir das Lied vom Tod“. Ein paar Stunden später schaute man noch mal genauer hin und entdeckte, dass da in echt „Spiel mir am Glied bis zum Tod“ stand. Der Mann hatte Mut und tanzte bis zum Ende zu einer Musik, die optimistisch, verspielt und basslastig klang. „Can you feel the bass“ hatte auf den Flyern gestanden, aber das gab’s dann zum Glück doch nicht. Um halb drei warfen Einzelne die Arme hoch und riefen „Juchhu“.
Als Altraver standen wir am Rande, und ein Mädchen fragte, ob wir Gras zu verkaufen hätten – nö, leider nicht, aber wir fühlten uns trotzdem geschmeichelt. Dann legte Tyree Cooper aus Chicago auf.
Cooper ist eine House-Legende und arbeitet manchmal mit Africa Islam zusammen, der neulich mit Westbam diesen tollen Eurovisionsauftritt hatte. Westbam war auch da, und einige ließen sich Arm in Arm mit ihm fotografieren. Enthusiasmiert und scheinbar wahllos küssten sich manche, die 1990 vielleicht 10 waren. Schwer zu sagen, ob das kompetent tanzende Publikum das gleiche war wie sonst. Der Typ, der neulich mit seiner Digicam die Achselhöhlen aller Frauen fotograferte, war jedenfalls nicht da.
Nach zwei Stunden übernahm dann Boris, der früher immer im Ostgut aufgelegt hat und in seiner Freizeit Kung Fu macht, und man landete wieder in der Gegenwart. Ein Brett, wie man so sagt. Dann gingen wir nach Hause, weil es doch immer am schönsten ist, in der blauen Stunde nach Hause zu fahren. Auf dem Weg sahen wir ein Polizeiauto und vier traurige Polizisten, die wohl einen Unfall verursacht hatten.
Warum auch immer: Plötzlich musste man daran denken, wie auffallend sorgfältig die Leute an der Garderobe vom Maria die Pullover nicht einfach in die Ärmel der Jacken gesteckt, sondern am Bügel aufgehängt hatten.
DETLEF KUHLBRODT