: Ein libysches Gastspiel in Brüssel
Revolutionsführer Gaddafi will dem Mittelmeerforum beitreten. Heute trifft er EU-Kommissionspräsident Prodi
MADRID taz ■ Brüssel wird heute für wenige Stunden um eine Sehenswürdigkeit reicher. Der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi schlägt in der belgischen Hauptstadt sein Zelt auf. Er besucht auf Einladung von EU-Kommissionspräsident Romano Prodi die Europäische Union. Die Staatsvisite soll zur endgültigen Normalisierung der Beziehungen Libyens mit der westlichen Welt beitragen.
Eingeleitet wurde der Annäherungsprozess nach den Entschädigungszahlungen an die Opfer des Attentats von Lockerbie. Die UNO hob die Sanktionen gegen das nordafrikanische Land auf. Im Winter dann machte Gaddafi einen weiteren Schritt zurück in die internationale Gemeinschaft. Er kündigte an, alle Massenvernichtungswaffen zu zerstören und die Forschungsprogramme einzustellen. Dieser Prozess ist mittlerweile weitgehend abgeschlossen.
Der Besuch Gaddafis in Brüssel wird nicht nur symbolisch sein. So wird der libysche Staatschef den Beitritt seines Landes zum Barcelona-Prozess beantragen. Das nach der Stadt benannte Forum, das 1995 zum ersten Mal tagte, soll zu mehr Stabilität im Mittelmeerraum beitragen. Neben den europäischen Anrainern nehmen daran auch die arabischen Mittelmeerländer und Israel teil.
Der Beitritt Libyens wird deshalb als indirekte Anerkennung Israels durch Gaddafi gewertet. Trotz der Kehrtwende Gaddafis wird auch seine Vergangenheit zur Sprache kommen. Noch immer stehen die Entschädigungszahlungen für die Opfer eines weiteren Attentats aus, das auf die Diskothek La Belle in Berlin 1986. Ein deutsches Gericht hatte Libyen „eine erhebliche Mitverantwortung“ bei dem Bombenanschlag zugewiesen. Alles deutet darauf hin, dass die Zahlungen spätestens im kommenden Monat erfolgen werden. Dann wäre auch für die Bundesregierung der Weg zu endgültigen Annäherungen an Libyen frei.
Bundeskanzler Gerhard Schröder könnte sich dann zu denen gesellen, die seit Gaddafis Meinungsumschwung um die Gunst des revolutionären Obersten werben. So besuchten bereits der britische Premier Tony Blair und der mittlerweile abgewählte spanische Regierungschef José María Aznar in den letzten Wochen Tripolis. Auch verschiedene US-Delegationen reisten in das Wüstenland. Ihnen allen geht es ums Geschäft. Libyen verfügt über große Erdölvorkommen. Gaddafi macht keinen Hehl daraus, dass künftig auch ausländische Investoren willkommen sind. REINER WANDLER