: Streicheleinheit für die Linke
Parteichef Bütikofer machte bei diesem Sonderparteitag fast alles richtig. Nur einmal zeigte er den Linken, was er wirklich über ihre Argumente denkt
aus Cottbus LUKAS WALLRAFF
Manchmal sagt ein einziges Wort mehr als fünfzehn lange Reden. Wenn man Pech hat, kann ein einziges Wort die Stimmung auf Parteitagen zum Kippen bringen. Weil es verrät, was der Redner wirklich denkt. Es ist Samstag kurz nach zehn Uhr abends, als dem Grünen-Parteichef Reinhard Bütikofer so ein Wort „herausrutscht“, wie er es später nennt. Ausgerechnet er, der große Integrator, der für seine Versöhnungsarbeit allseits gelobt wird, wirft der linken Kritikerin Annelie Buntenbach „und anderen“ vor, in ihren Redebeiträgen „gesülzt“ zu haben. Gesülzt! So etwas darf man bei den Grünen immer noch nicht laut sagen. „Buh!“, schallt es zurück. „Unmöglich! Unerhört!“ Ein kleiner Tumult bricht aus – im denkbar ungünstigsten Moment, denn gleich steht die entscheidende Abstimmung des Tages an – die über den Leitantrag, der die Richtung vorgibt: pro oder contra Agenda 2010.
Die Gegner fühlen sich provoziert, die Befürworter werden nervös („Das hätte nicht passieren dürfen“) und zittern um die Mehrheit. „Ich wette nur auf Mineralwasser, dass unser Antrag durchkommt“, sagt Volker Beck, einer der erfahrensten Strippenzieher. Eine halbe Stunde lang, während die Stimmen ausgezählt werden, liegt zum ersten Mal eine gewisse Anspannung auf den grünen Gesichern.
Was, wenn sich die Linken durchsetzen, wenn einer der Agenda-kritischen Anträge jetzt durchkommt? Nichts scheint unmöglich. Man hat ja vieles schon erlebt. Wer hätte vor einem halben Jahr gedacht, dass Fritz Kuhn und Claudia Roth ihre Ämter verlieren würden? Einige grüne Promis steigen besorgt vom Podium herab. Jürgen Trittin, Kuhn und Fraktionschefin Krista Sager raunen warnend von „Großer Koalition“, die drohe, wenn dieser Parteitag schief geht, wenn die Basis die Regierungsagenda doch noch blockiert. Eine halbe Stunde Zittern, dann bekommt Volker Beck sein Mineralwasser – und Bütikofer seine Mehrheit. Gerade so. 360:322 Stimmen für den Leitantrag. Eine Vorentscheidung, aber kein Ergebnis, das ruhig träumen lässt. Schon am nächsten Morgen warten Bütikofers nächste Hürden.
Über 140 Änderungsanträge liegen vor, teilweise eingereicht von den rhetorisch brillanten Protagonisten Christian Ströbele und Werner Schulz. Beide warten schon auf ihren Auftritt. Vor allem Schulz gilt als unberechenbar. Ihn fürchten die Parteioberen, gerade weil er kein „Linker“ ist, den man leicht in die Blockierer-Ecke drängen kann.
Weil Schulz die Agenda in mehreren Interviews als „unsozial“ verurteilt hatte, weil er den Leitantrag als simplen Ja-oder-nein-Antrag bezeichnet hatte, wird er von Bütikofer gleich zu Beginn des Parteitags gerüffelt. Auch Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt spricht den „lieben Werner“ persönlich an. Nur sprechen, sprechen darf er zunächst nicht, der gescholtene Rebell. Obwohl wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion, kommt Schulz in der Debatte am Samstag nicht auf die Rednerliste. Das stinkt ihm. Zu besonderer Loyalität fühlt sich der frühere Bürgerrechtler ohnehin nicht verpflichtet, seit er den Kampf um die Fraktionsführung verlor. Dass man ihn nicht reden lässt, ist noch so eine Provokation, die nach hinten losgehen kann – wenn Bütikofer Pech hat. Denn am Sonntag darf jeder Anträge vorstellen, das kann man nicht verhindern. Wirklich beruhigt kann Bütikofer also nicht ins Bett gehen. Werden Schulz und Ströbele den zweifellos vorhandenen Unmut unter den Delegierten nutzen und die Agenda stoppen?
Nichts dergleichen. Schulz und Ströbele tun zwar lautstark ihre Kritik kund. Beide ernten Jubel und die Aufmerksamkeit der Fernsehkameras. Beide setzen jeweils einen Antrag durch: Schulz zu den Kosten der deutschen Einheit, Ströbele zur Vermögensteuer. Aber das sind eher symbolische Erfolge, die der Parteispitze nicht wirklich weh tun. Bei den wirklich wichtigen Anträgen zu den entscheidenden Agenda-Punkten halten sich Ströbele und Schulz zurück. Ihnen reicht : Wir können auch anders, wenn ihr uns nicht gut behandelt.
Und die Parteioberen wussten, dass sie die Seele der Partei gut streicheln mussten. Bütikofers „Sülz“-Vorwurf blieb der einzige Ausrutscher. Wichtig war das Signal: Was wir tun müssen, machen wir nicht gern. Selbst Joschka Fischer betonte sein Mitgefühl. „Es wird schmerzen“, sagte Fischer bei seinem auffallend zurückhaltenden Auftritt am Samstag, aber „es wird nicht anders gehen.“ Denn, so das immer wieder wiederholte Argument: Sonst machen es die anderen, „die Schwarzen“, wahlweise auch „die Neokonservativen“oder „die Neoliberalen“. Das wirkt. Das reicht.
Am Ende steht Bütikofer erleichtert auf dem Podium und klatscht Beifall. Sich, den Delegierten, ach, der ganzen grünen Welt, die heil geblieben ist. „Dicht an die 90 Prozent“ für die Agenda. Koalition gerettet. Und für ihn vielleicht das Wichtigste: Übervater Joschka musste nicht noch einmal in die Bütt. Das wäre nötig gewesen, wenn es nochmal knapp geworden wäre. Wurde es aber nicht. Bütikofer hat den ersten echten Test bestanden und die Agenda ohne ein Machtwort Fischers durchgepaukt. Das sorgt für Respekt. Neue Freunde unter den Linken hat sich Bütikofer nicht gemacht. Denn die wissen jetzt wieder, was er wirklich denkt.