: Nicht alle Frauen leben länger
SPD-Fraktion entscheidet heute über Unisex-Tarife bei Riester-Rente. Gutachten: Jetzige Praxis verfassungswidrig
BERLIN taz ■ In den 80er-Jahren wollten KFZ-Versicherungen in Deutschland Türken, Griechen und Italienern höhere Prämien abverlangen, weil sie mit ihren Autos auf langen Heimfahrten im Schnitt öfter Unfälle bauten und ihre Fahrzeuge öfter gestohlen wurden als bei Deutschen. Das Bundesverwaltungsgericht lehnte solche „Balkantarife“ ab. Begründung: Das Merkmal der Staatsangehörigkeit sei ja wohl kaum geeignet, etwas über die Unfallhäufigkeit einzelner ausländischer Fahrzeughalter auszusagen.
Das Urteil wird von der Augsburger Arbeitsrechtlerin Marita Körner in ihrem Gutachten zur staatlich geförderten Altersvorsorge, der Riester-Rente, zum Vergleich herangezogen. Körner vertritt die Auffassung, dass man auch das Merkmal „weiblich“ nicht zum generellen Maßstab dafür machen könnte, Frauen im Alter eine niedrigere private Monatsrente auszuzahlen als Männern. Die Versicherungskonzerne tun dies jedoch mit dem Argument, Frauen lebten im Durchschnitt fünf Jahre länger als die Männer, kämen also daher gewissermaßen auf die gleiche Endsumme.
Das Thema ist zum Politikum geworden, denn in der rot-grünen Koalition tobt ein Streit um die Frage, ob die Versicherungen bei der staatlich geförderten Riester-Rente Frauen einen anderen Tarif anbieten dürfen als Männern. Gestern Abend beriet der SPD-Fraktionsvorstand über das Thema, heute will sich die Fraktion damit beschäftigen.
Das Heranziehen des Geschlechts als Unterscheidungsmerkmal sei „nicht zwingend“, erklärt Körner in dem jetzt vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) vorgestellten Gutachten. Theoretisch wäre auch die Unterscheidung anderer „Risikogruppen“ denkbar, beispielweise Nichtraucher/Raucher oder Wohlhabende/Arme, die auf längere Lebenserwartung schließen ließen. Auch erreicht beispielsweise knapp die Hälfte der Frauen nicht das 80. Lebensjahr, aber immerhin 30 Prozent der Männer werden älter als 80 Jahre. Für das individuelle Risiko sei das Geschlecht als Indikator daher zu „grobkörnig“, meint die Gutachterin.
Die Riester-Rente verstoße letztlich gegen das Recht auf Gleichbehandlung im Grundgesetz, so die Juristin weiter. Diese Gleichbehandlung habe der Staat aber auch bei der privaten Altersversorgung einzuhalten, weil die Riester-Rente öffentlich subventioniert wird und die Lücken in der gesetzlichen Rentenversicherung schließen soll. In der gesetzlichen Rentenversicherung bekommen Frauen und Männer bei gleicher Einzahlung im Ruhestand auch die gleiche Monatsrente.
In der Privatrente jedoch sind die Unterschiede erheblich: Erhält ein Mann etwa eine monatliche Privatrente von 1.576 Euro, bekommt die Frau bei gleicher Einzahlung nur 1.377 Euro.
Körner verwies in ihrem von der Hans-Böckler-Stiftung in Auftrag gegebenen Gutachten auf andere EU-Staaten wie Frankreich, Irland und Belgien, wo Frauen und Männer bei gleicher Einzahlung auch die gleiche private Monatsrente kriegen.
Ebenso wie die Juristin fordern der DGB, die Grünen und Stimmen aus der SPD die Einführung so genannter „Unisex-Tarife“, also die Gleichbehandlung, bei der Riester-Rente. Bundesfamilienministerin Renate Schmidt (SPD) befürwortet diese „Unisex-Tarife“. Finanzpolitiker dagegen befürchten, dass Unisex-Tarife die Riester-Renten für Männer teurer und damit unattraktiver machen. Sie haben als Kompromiss vorgeschlagen, dass nur neue Versicherungsangebote Unisex-Tarife enthalten sollen. Dann wäre aber die Vielzahl bisheriger Produkte weiterhin diskriminierend. Die FrauenpolitikerInnen sehen darin deshalb keine Lösung.
BARBARA DRIBBUSCH