schwabinger krawall: ehrensache, so ein geburtstag von MICHAEL SAILER
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Herr Kellermann hat Geburtstag. Das habe man nur einmal im Jahr, behauptet er, da sei es Ehrensache, dass man etwas ausgebe, und bestellt eine Lokalrunde. Man hebt das Glas und lässt den Spender hochleben, mit Ausnahme eines nicht mehr ganz jungen Mannes im Anzug, der allein neben dem Flipper sitzt, vor sich ein Glas Apfelschorle, ein Mobiltelefon, ein undefinierbares elektronisches Kleingerät, das er bisweilen bedient, und das Glas Obstler, das er befremdet betrachtet, dann den Kopf schüttelt und es der Bedienung wieder hinhält. Er trinke so etwas nicht.

Als Herrn Kellermann die Nachricht von der Ablehnung erreicht, dreht er sich um, fasst den Mann ins Auge, scheint zu einer längeren Rede ansetzen zu wollen, sagt dann aber bloß: Dem spendiere er noch einmal etwas. Der sei sich wohl zu gut. Das zurückgewiesene Glas trinkt er selber leer.

Kurz darauf ertönt das Mobiltelefon des Herrn im Anzug. Lässig, aber bestimmt hält er es ans Ohr, lauscht eine Weile und gibt Auskunft: Er sei hier in diesem Lokal bei dieser Basilika, und das sei alles schwer zu verstehen, weil es so laut sei. Die Männer am Tresen lauschen atemlos.

Als das Gespräch beendet ist, fragt Herr Kellermann, ob es dem Herrn hier vielleicht zu laut sei in dieser Gaststätte, wo gestandene Männer Geburtstag haben und deshalb ein bisschen feiern wollen, wie es sich gehört, und ob man sich vielleicht leiser freuen solle, um ihn nicht beim Telefonieren zu stören, für das es übrigens vor dem Klo ein Telefon gebe, wo man nicht gestört werde von feiernden Menschen, wo man aber hinwiederum selber auch nicht feiernde Menschen beim Feiern störe, indem man mitten in ihre Stimmung hineinplärrt, es sei hier so laut, obwohl es gar nicht laut sei, abgesehen davon, und dann habe diese Gastwirtschaft einen Namen und sei ein Lokal aber nun schon gar nicht, weil man hier gestandene Männer treffe und kein dahergelaufenes Studentenpack, gegen das er übrigens gar nichts habe, schließlich könne er selber auch Latein und wisse daher zum Beispiel, dass das lateinische Sachliche bloß in der Mehrzahl auf -a ende und es deshalb eine Basilika gar nicht geben könne, sondern höchstens ein Basilikum.

Dabei handle es sich aber um ein Gemüse, sagt der Wirt, dem Herr Kellermann empfiehlt, er solle sich da raushalten. Er sei ein anständiger Mensch, sagt Herr Kellermann, und das lasse er nicht von einem windigen Bürscherl in Abrede stellen, schon gar nicht hier, wo sich anständige, gestandene Männer treffen und ihre Ruhe haben wollen und tun und lassen können, was ihnen passt, ohne dass ein Lateinprofessor dahergelaufen komme und ihm erzählen wolle, was ein Basilikum ist oder sonst was. Er sei ein friedvoller Mensch, aber wenn ihn einer provoziere, „dann raucht’s, verstanden!“

Dem Notarzt, der den Herrn im Anzug ins Schwabinger Krankenhaus fährt, kann dieser auf entsprechende Nachfrage keine genauen Angaben über den Hergang des Unfalls machen, in dessen Verlauf er mit dem Kopf an den Flipper gerannt und sodann mitsamt seinem Stuhl durch ein Fenster geflogen sei, das vorher nicht offenstand. Er wisse nur noch etwas von einem Schnaps, davon wolle er aber auch nichts mehr wissen.