: Rucki Strucki
Helmut Kohl glaubt, dass Gerhard Schröder seinen Job bald hinschmeißt und Peter Struck neuer Kanzler wird. Jetzt glauben es alle. Wie aus einem Nullachtfünfzehn-Gerücht eine Top-Story wird
VON JENS KÖNIG
Politik funktioniert manchmal wie ein Kinderspiel. Politiker X sagt irgendwelchen Journalisten in einem vertraulichem Hintergrundkreis, was er so über Gott und die Welt im Allgemeinen und über diesen und jenen Politikerkollegen im Besonderen denkt. Irgendeiner dieser Journalisten erzählt das, als kleine Anekdote verpackt, dem Politiker Y in einem anderen vertraulichen Hintergrundkreis. Politiker Y wiederum steckt das, als gewichtige politische Einschätzung verpackt, irgendwelchen Journalisten am Rande einer Pressekonferenz oder auf den Fluren des Reichstages. Einer dieser so genannten Journalisten schreibt das auf und verbreitet dieses Dahergerede, wobei er es als das „neueste, brisanteste Gerücht aus dem politischen Berlin“ bezeichnet. Politiker Z, den dieses Gerücht betrifft, dementiert den Schwachsinn und hat damit im selben Moment eine Nachricht produziert. Gerüchte dementiert keiner grundlos, denken jetzt die Journalisten, die bislang noch gar nichts von dieser Geschichte gehört haben. Sie verkaufen also die „Nachricht“ ihren Lesern.
Und so lautet das neueste, brisanteste Gerücht im politischen Berlin: Gerhard Schröder ist müde. Er hat keine Lust mehr. Spätestens nach der verlorenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2005 schmeißt er seinen Job hin. Sein Nachfolger wird Peter Struck, der jetzige Verteidigungsminister.
Ausgerechnet Struck. Solide, verlässlich, langweilig. Strucki genannt. Strucki beerbt Schröder. Das wäre ungefähr so, als würde Frank Baumann von Werder Bremen Michael Ballack als Spielmacher beim FC Bayern ersetzen. Super Geschichte.
Warum Struck?, könnte man jetzt fragen. Wer denn sonst?, könnte man antworten und läge angesichts des überragenden Personalangebots in der Abteilung „SPD-Spitzenpolitiker“ damit nicht ganz falsch. Aber eben auch nicht ganz richtig.
Man muss jetzt gar nicht die alte Klassenfrage „Wem nützt es?“ stellen. Es reicht, wenn man sich fragt, wer diese Geschichte in die Welt gesetzt hat. Dann kommt man der Wahrheit schon näher. Aber aus den Medien, die dieses „Gerücht“ verbreiten, dringt nur Nebel. Den Anfang machte Georg Paul Hefty am vergangenen Freitag in einem Leitartikel der FAZ. Hefty ist so etwas wie der Resident der CDU in dem konservativen Blatt. Er verkündet die ewigen Wahrheiten der Partei. Wenn er schreibt, wird die FAZ zur Prawda. Hefty hat seiner Parteichefin Angela Merkel geraten, sie müsse die Möglichkeit, dass Struck 2005 Kanzler wird, auf ihrem Weg ins Kanzleramt berücksichtigen.
Einen Tag später verbreitet Bild dieses „Gerücht“ mit dem Hinweis auf die FAZ und nennt als Quelle einen „hochrangigen CDU-Politiker“. Am Montag dann zieht der Spiegel nach. Die Recherchemaschine des Magazins hat herausgefunden, dass nicht nur Unionsleute über ein vorzeitiges Ende von Schröder und einen möglichen Kanzler Struck sprechen, sondern auch „engste Mitarbeiter des Regierungschefs“. Am Dienstag dann wieder Bild. Schlagzeile: „Hat der Kanzler keine Lust mehr?“ Quelle: der Spiegel. Erneut wird Struck – neben Wolfgang Clement und Kurt Beck – als möglicher Nachfolger genannt. Dazu ein Zitat aus einem Schröder-Interview im Focus: „Die Reformen sind wichtiger als ich.“ Inzwischen hat sich auch Regierungssprecher Béla Anda mit der Angelegenheit beschäftigt. „Diese Regierung steht fest“, sagt er. Super.
Keiner sagt, was viele wissen. Die Quelle für diese Top-Story ist ein gewisser Helmut Kohl. Der Altkanzler gibt in diesen Wochen bei langen Mittag- oder Abendessen seine Lieblingsthese zum Besten: Kurz vor oder nach der NRW-Landtagswahl tritt Schröder zurück. Müntefering ist ein Ollenhauer-Typ, der will nicht Kanzler werden. Bleibt also nur Struck.
Nun ist jedem politischen Laien klar, dass eine verlorene NRW-Wahl Schröder vollends blockieren würde. Die Union hätte im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit. Rot-Grün könnte nichts mehr ohne die Schwarzen machen. Aber Kohl hat eine viel raffiniertere Begründung für den Rückzug des Kanzlers: Schröder hat eine junge Frau. Mit ihr will er sein Leben genießen. Vielleicht in New York, wer weiß.
Ja, ja, wer weiß, wer weiß. Die Lage für Schröder ist tatsächlich beschissen. Und keiner weiß, wie sie besser werden soll. Und eine verlorene NRW-Wahl 2005 besiegelt endgültig Schröders Niederlage 2006. Und mit Rücktritt gedroht hat er schließlich auch schon oft. Kann also alles sein. Sogar das mit Struck.
Kann aber auch nicht sein. Kohl ist auch viermal Kanzler geworden.