: Nicht ganz himmlisch
Eine doppelbödige Wiederentdeckung: Hans Leips „Der Nigger auf Schahörn“ von 1927, trotz aller bemühten Toleranz mit grobem Rassismus durchsetzt und leider unkommentiert neu ediert
von SABINE ROHLF
Ein wenig klingt es nach verunglücktem HipHop-Titel, tatsächlich aber ist es ein Jugendbuch aus dem Jahr 1927: Der Nigger auf Schahörn. Gerade als Neuausgabe im hiesigen Verlag Die Hanse erschienen, erzählt der 170-Seiten-Text von Hans aus Hamburg, der auf einer Nordseeinsel den Schiffsjungen Kubi kennen lernt – den „Nigger“, wie die Einheimischen sagen. Die beiden Jungen verstehen sich ausgezeichnet, gehen segeln und Fische fangen, ärgern Touristen, streiten und versöhnen sich. Schauplatz dieser Sommergeschichte sind die der Elbmündung vorgelagerten Inseln Neuwerk und Schahörn. Während der Jungs-Abenteuer eilen die Wolken über den Himmel, bläst der Wind, bauschen sich die Segel, tuten die Schiffe, derweil kantige Insulaner Plattdeutsch reden. Es ist eine Bilderbuchnordsee, auch für erwachsene Küstenfreunde. Und genau so wird die Neuausgabe jetzt auch vorgestellt – als „himmlisch“ zu lesendes Buch.
Sein Verfasser Hans Leip war einmal einer der bekannteren Hamburger Autoren, einige seiner Bücher erlebten zahlreiche Neuauflagen. Er schrieb Gedichte, Romane, Erzählungen, Drehbücher, malte und zeichnete. Mit dem Text des Weltkriegs-Hits Lili Marleen kam der vielseitig begabte Autor zu etwas zweifelhaftem Ruhm. Doch er etablierte sich nicht mit der Laterne vor dem großen Tor, sondern mit dem grotesken Hamburg-Roman Der Pfuhl (1923) und der kommunistisch angehauchten Störtebeker-Geschichte, Godekes Knecht (1925).
Vom Expressionismus kommend, gewannen Leips Texte mit der neusachlichen Leichtigkeit der Weimarer Jahre Tempo und Witz. Ihre Themen kreisen größtenteils um Hamburg, die Elbe, den Hafen und die Nordsee. Nach seiner Seeräuberstory Godekes Knecht wandte Leip sich immer politikferneren Stoffen zu, etwa der im Plauderton verfassten Segelanweisung für eine Freundin oder dem Flirt zwischen Reedertochter und Bootsjunge in Jan Himp und die kleine Brise. Sie erschienen 1933 und 1934 und wurden ebenfalls bei Die Hanse wieder aufgelegt. Als seine linken und jüdischen KollegInnen nach 1933 das Land verließen, blieb Leip im Hamburg, schrieb weiter und beantragte schließlich die Mitgliedschaft in der Reichsschrifttumskammer.
Der Nigger auf Schahörn spiegelt Leips Leidenschaft für das Meer und ein Interesse an Menschen anderer Hautfarbe, das unübersehbar auf eine expressionistische Vorliebe für Exotik weist. Fremd, geheimnisvoll und ein bisschen beängstigend ragt der schwarze Schiffsjunge aus der heimatseligen Nordseeszenerie. Leip ist zwar merklich bemüht, eine Art Völkerverständigung zu propagieren, doch heutige LeserInnen werden unweigerlich die Grenzen dieses Projektes bemerken: Eine Erzählung, die zwar Fairness gegenüber dem Jungen aus Afrika einfordert, ihn aber gleichzeitig als „wild und gierig“, augenrollend und „tierisch“ beschreibt, ist kaum anders als rassistisch zu bezeichnen. Auch wenn Kubi stolz, gewitzt und widerstandsfreudig auftritt, bleibt der „Wilde“ hier die Projektionsfläche für weiße Ängste und Sehnsüchte. In diesem Falle sind es die Phantasien des Jungen Hans, der von fernen Hafenstädten träumt und mit seinem Freund durchbrennen möchte. Aber zum Schluss ist er doch erleichtert, dass nur Kubi das Schiff nach Afrika besteigt.
Die Spannung zwischen bemühter Toleranz und gröbsten Klischees ist für die Literatur der Weimarer Republik nicht untypisch. Sie irritiert und macht gleichzeitig neugierig auf einen Autor, der schließlich ins Lager der NS-kompatiblen Literatur überwechselte: Zwar wurde Leip kein ausgesprochener „Blut und Boden“-Dichter, doch seine Gedichte, Erzählungen, Theaterstücke und Drehbücher eckten nicht an. Der Nigger auf Schahörn wurde nach einer Neuauflage vom Völkischen Beobachter wohlwollend besprochen.
Deshalb wäre zu wünschen gewesen, dass die neueste Neuauflage von Der Nigger auf Schahörn Raum für die komplizierteren Aspekte seiner Rezeptionsgeschichte lässt. Und für die Einordnung einer Erzählung, deren ebenso zeittypische wie rassistische Darstellung eines Schwarzen nicht unkommentiert dastehen sollte. Nach den Anspielungen auf den Rassismus unserer Tage im Verlagskatalog wäre zumindest ein informatives Nachwort zu erwarten gewesen. Doch im himmelblauen Einband verbergen sich nur ein Glossar für maritime Begriffe sowie ein paar unverbindliche Worte des Autors zur Auflage im Jahr 1957.
Hans Leip: Der Nigger auf Schahörn. Erzählung. Hamburg: Verlag Die Hanse 2003, , 180 S., 18 Euro