: Übersetzen zwischen den Fronten
In der Fortbildung für Übersetzer ist das Bremer Behandlungszentrum für Folteropfer, Refugio, vorbildlich. Regelmäßig laufen hier Kurse. Davon profitieren außer traumatisierten Flüchtlingen auch Polizei, Gerichte und nicht zuletzt die Übersetzer selbst
Mit Gesichtern wie Masken sitzen Richter und Staatsanwälte reglos im Gerichtsaal, als der Angeklagte spricht. Er berichtet von erlittener Folter. Türkische Polizisten haben ihn verschleppt, geschlagen, aufgehängt und die Genitalien gequetscht. Der 30-Jährige spricht Details aus, deren bloßes Anhören eine Zumutung ist. Erlebnisse, die deutsche Prozessbeteiligte nur verstehen, weil neben dem Angeklagten, hoch konzentriert, ein zierlicher junger Mann im Anzug Wort für Wort übersetzt. Alles. Als wäre er selbst der vormals Gefolterte – der sich nun allerdings wegen Mordes verantworten muss.
Sie sind sich ganz nah – Übersetzer und Mörder
„Dann haben sie mich an den Füßen aufgehängt und mich geschlagen. Ich weiß nicht mehr wie lange.“ Sogar den Tonfall passt Übersetzer Ercan Arslan dem des Angeklagten an. „Ja. Daher kommen die Rückenschmerzen, die ich bis heute habe“, überträgt er dessen Aussage. Und: Bis heute schalte er einfach ab, wenn er sich bedroht fühle. Könne sein Handeln nicht kontrollieren.
Die Verteidigung hofft, dass das Gericht diese traumatischen Erlebnisse strafmildernd berücksichtigen wird. Der Dolmetscher beugt sich vertraulich zum Angeklagten. Sie flüstern und sind sich ganz nah – der Dolmetscher und der später wegen Mordes Verurteilte, der erst wenige Prozesstage zuvor im Bremer Landgericht die letzten Minuten einer jungen Frau geschildert hat, die er selbst zu töten half. In wessen Auftrag? Wie kaltblütig? Oder unter Drohungen, die ihn zum willen- und hilflos retraumatisierten Werkzeug anderer werden ließen? Auch darum geht es im Prozess. Auf alle Fragen des Gerichts oder der Anklage antwortet der Übersetzer mit den deutschen Worten des kurdischen Mörders – als habe er selbst das Grauen der Tat erlebt.
Das ist eine professionelle Leistung, die in deutschen Gerichten noch die Ausnahme ist. Für die Übersetzer ist es ein Balanceakt auf dem Grat zwischen notwendigem Einfühlen und professionellem Abstand.
„Ich übersetze manchmal auch für Refugio“, wird der Übersetzer später ganz ruhig sagen – und mit dieser Bemerkung offenbaren, dass er fachlich geschult ist im Umgang mit menschlich Abgründigem.
Beim Bremer Refugio, dem einzigen Behandlungszentrum für traumatisierte Flüchtlinge und Folterüberlebende auf dem platten norddeutschen Land zwischen Göttingen, Hamburg, Münster und Emden, suchen jährlich 250 Frauen, Männer und Kinder therapeutische Unterstützung – für Erlebnisse, die das deutsche Gerede von den vielen Wirtschaftsflüchtlingen als durchaus zwielichtig erscheinen lässt. Die Wartelisten für Beratung und Therapie quellen über. Alternativen gibt es für Hilfesuchende anderswo kaum. Schon wegen der Sprachproblematik.
„Die Arbeit mit den Flüchtlingen stellt ganz besondere Anforderungen an therapeutisches Arbeiten“, bestätigt Ingrid Koop. Immer stehe ja zwischen Therapeuten und Klienten eine dritte Person, die Sprache übersetzt, aber auch Kulturelles überträgt. „Das ist eine Herausforderung für alle Seiten“, sagt Koop.
Seit sieben Jahren bildet Refugio Übersetzer aus
Die Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin ist Mitbegründerin des Zentrums. Seit sieben Jahren bildet sie ÜbersetzerInnen aus, die bei Therapiesitzungen dolmetschen. Auch vertritt sie Refugio auch in der Bundesarbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAFF), die spezielle Leitlinien zur Arbeit mit SprachmittlerInnen herausgegeben hat. Dazu gehört auch die Regel, nur professionelle, muttersprachliche Profis übersetzen zu lassen – niemals Familienangehörige. „Die könnten ja selbst in die Probleme ihres auffälligsten Familienmitglieds verstrickt sein“, erklärt Koop. Das würde das Neutralitätsgebot verletzen und Hilfe und Stabilisierung erschweren. Aber es schützt auch die Familie – des afrikanischen Oppositionellen beispielsweise, dessen Frau mit der Flucht und dem Leben danach in Deutschland so wenig klar kommt wie mit den Ausfällen des traumatisierten Ehemannes. Es gilt genauso für den Sohn oder den Ehemann einer vergewaltigten Bosnierin. Selbst vollkommen unbeteiligte Dolmetscher stoßen da an ihre Grenzen.
„In mir steigen manchmal selbst die Tränen hoch, wenn ich höre, was die Menschen erlebt haben,“ sagt ganz offen Natascha Tomic, die sich bei Refugio als Übersetzerin für Therapiesitationen qualifiziert. „Dann stelle ich mir einen Wasserfall vor. Das ist schön.“ Ein Therapeut hat ihr diesen Trick verraten. „Es hilft ja niemandem, wenn ich auch da sitze und weine“, sagt sie. Und dass solche Situationen enorm viel Kraft kosten. „Nicht einmal das Taschentuch darf ich der Weinenden geben.“ Jede Entscheidung liegt beim Therapeuten – mit dem sie für besonders schwierige Momente aber ein kleines „Pausen-Signal“ verabredet hat. Eine Handbewegung, auf die hin er vorsichtig für Unterbrechung sorgt – damit die Übersetzerin verschnaufen kann.
„Der Therapeut muss die Situation strukturieren“, betont Refugio-Frau Koop, wenn sie in Bremen mehrmals jährlich DolmetscherInnen für das Übersetzen in solchen Situationen fortbildet. Alles MuttersprachlerInnen wie Tomic, viele selbst zugewandert – und durch diese Erfahrung menschlich und kulturell besonders qualifiziert. „Aber wie übersetzt man Kultur?“, fragt Koop in die Ausbildungsrunde.
Die Antworten kommen schnell: Übersetzer müssen die Gestik ihres Gegenübers deuten können. „Kopfschütteln heiß ja, Nicken nein bei den Tamilen“, sagt Radja Samy. Aishe Hassan sagt: „Hinter bestimmten Schilderungen stecken traditionelle Konfliktlagen“ – auf die sie hinweisen würde. Als Radja nachdenklich fortfährt: „Manchmal muss ich innerlich auch altmodisch sein“, schauen der Perser und die Türkin in der Runde ihn irritiert an. Der Tamile, der seit vielen Jahren in Deutschland lebt, erklärt: „Wenn ich für einen älteren Mann aus Sri Lanka übersetze, kann ich sonst ja sonst selbst nicht verstehen, was er meint. Da muss ich doch umdenken.“ Ja, nickt auch Koop. Das gehöre alles dazu. Dann warnt sie, es solle sich niemand „verzetteln“. Vor allem aufs genaue Übersetzen komme es an.
„Nach der Sitzung muss der Therapeut euch Entlastung anbieten“, klärt Koop auf. Ersten Untersuchungen der Hamburger Universität zufolge sind therapeutische Dolmetscher hoch gefährdet, selbst Störungen wie Depression, Kopfschmerz oder Schlaflosigkeit zu entwickeln.
Allerdings können Übersetzer den Heilungsprozess auch selbst gewaltig stören – und eine Therapie torpedieren. Die Verlockungen sind groß. Die Ausbildungsrunde ist sich einig: Auf die quasi nationale Verbrüderung im Sinne von Nur-du-mein-Dolmetscher-verstehst-mich können Unerfahrene leicht hereinfallen. Wenn sie dann anfangen, den Dialog mit dem Kranken selbst in die Hand zu nehmen, ist alles gelaufen. „Dann müssen wir uns vielleicht trennen“, erinnert Koop, dass die Sorgfaltspflicht beim Übersetzen – und nur beim Übersetzen – die Grundregel Nummer eins bleibt.
Aber selbst wenn die SprachmittlerInnen sich an diese Regel halten, können sie unvermittelt zur Zielscheibe werden. Natascha Tomic ist das schon passiert.
„Ich bin kein Tätervolk“, schäumt die Übersetzerin
Noch heute steigt in der 29-Jährigen die Wut über eine von Serben gefolterte Bosnierin hoch, die glaubte, in der Übersetzerin eine Serbin erkannt zu haben – in deren Gegenwart sich jedes weitere Wort verbiete. „Ich bin kein Tätervolk“, schäumt Tomic. „Ich habe nie über meine eigene Vergangenheit geredet. Diese Frau weiß privat nichts von mir“, schimpft die Dolmetscherin, während die anderen ÜbersetzerInnen in der Ausbildungsgruppe ein wenig erschrocken zuhören. Nüchtern erklärt Ausbilderin Koop: „Pauschalisieren ist ein Verharren im Trauma.“ Ein wenig tröstlich klingt es, wenn sie dann sagt, dass in solchen Fällen „die Person der Übersetzerin doch nicht wirklich gemeint“. Therapeutisch lasse sich die unangenehme Rolle, in die die Dolmetscherin da gedrängt werde, sogar nutzen. „Aber nur, wenn die Übersetzerin einverstanden ist“, lacht Koop. Tomic will sich die Entscheidung, als Projektionsfläche herzuhalten, aber noch gut überlegen. Die anderen Übersetzer nicken verständnisvoll.
Die Gerichte wollen 99 Prozent Neutralität
„Wir arbeiten wohl alle bei Refugio, weil wir auch helfen wollen“, sagt Radja. Der Tamile übersetzt seit zwei Jahren auch für die Polizei. „Aber da kann ich nicht helfen. Da sollen Übersetzer wie Maschinen funktionieren.“ Jedes Gefühl müsse ausgeblendet werden.
„Neutralität zu 99 Prozent“ verlangten auch die Gerichte, sagt der kurdische Übersetzer Ahmed Kaduchi. Ihn bringe das manchmal in die Klemme. Das übersetzte Wort allein erkläre nicht immer den Sachverhalt. Dann seufzt er. Wenigstens sehe er bei der Polizei die Person, deren Worte er übersetze. „Im Asyl-Bundesamt darf ich nicht einmal Augenkontakt zu den Asylbewerbern haben, für die ich übersetze. Da bin ich nur als Stimme.“ Damit habe er Schwierigkeiten – zumal er auch dort Grausames übersetzen müsse, das ihn nicht so schnell los lasse.
„Das kenne ich“, sagt Tomic. „Ich stelle mir vor, ich lege das Päckchen beim Rausgehen an der Türschwelle ab.“ Der Rat kam von einem Refugio-Therapeuten. „Das hilft“, sagt sie.
Eva Rhode
(Die Namen der Übersetzer sind teilweise geändert.)