: Boris tanzt mit Betty
Very British: Nick Hurrans „Grabgeflüster“ ist eine Komödie über spätes Glück und neue Särge
Hausbacken, herrlich hausbacken. Very British and slightly overdone. Wer „Grabgeflüster“ sieht, meint in einem dieser plüschigen Comedy-Theater zu sitzen – und nicht im Kino. Nein, „Grabgeflüster“ ist eigentlich gar kein Film, auch wenn die Ansichtskartenpanoramen der walisischen Kliffs gezeigt werden und die Gassen von Wrottin-Powrys. Humor! Ja, so heißt der Ort, und Monty Python lassen grüßen.
Die Comedians treten vor die Kamera und sagen mit ernstem Gesicht witzige Sachen auf. Es fehlt die Applausmaschine. Die Kamera gibt sich doppelte Mühe, die Bilder schön braunstichig zu halten, als ob der Film vierzig Jahre alt wäre. Gemacht von Pensionären für Pensionäre, eben für die, die in Wrottin-Powrys ihren Lebensabend verbringen? Oder für die TV-Serien-Gucker, die ausnahmsweise mal ausgehen wollen?
Ich hab’s nicht rausgekriegt. Regisseur Nick Hurran drehte zuvor Komödien für die Reihe Comedy Playhouse. James Welland (Kamera) hat Topschwulenfilme der frühen Neunzigerjahre fotografiert („North of Vortex“ und Derek Jarmans „Wittgenstein“), Kultfilme also. Das spricht für die Kunst liebevollster Restaurierung saugemütlicher Bildführung in halbschummrigen Licht. Jedenfalls haben sich Regie und Kamera bis zum Gehtnichtmehr zurückgenommen, um die Dialoge des Drehbuchdebütanten Frederick Ponzlov eins zu eins umzusetzen. Taktvoll oder wie? – Egal. Um es gleich zu sagen und auch um endlich zum Plot zu kommen. Wenn man nicht schon am Anfang aus dem Kino gelaufen ist, gewinnt man „Grabgeflüster“, dieses Filmunikum, richtig lieb. Nostalgische Ballroom Music lullt ein. Begin the Beguine, Lets Fall in Love, Blue Skies, Something good. Yeah! 1964. Schüchterling Boris Plotz verpasst auf Wrottin-Powrys erster Schülertanzparty den ersten Tanz. Schnitt.
Dreißig Jahre später ist er, traumatisiert, immer noch Junggeselle, aber Unternehmer: Bestattungen. Da trifft er seine Betty wieder (Brenda Blethyn. Ja, die „Beste Darstellerin“, die Oscar-Nominierte, der Star von „Grasgeflüster“ mit „s“). Und jetzt wird’s richtig. Boris tanzt mit Betty. I m Beerdigungsgeschäft.
Aber. Dem Heteroglück droht schwule Gefahr. Aus den USA. In Gestalt der Bestattungspartner Christopher Walken (!) und Lee Evans (des UK-Komikerstars), die im walisischen Städtchen zeigen, wie man expandiert. Der „Sarg des Monats“! Mengenrabatt! Eine „Star Trek“-Beerdigung in der Kirche mit vollem Sound, neuester Dolby-Technologie, viel Rauch und wohlbekannten Special Effects! Nein, diese Amerikaner, nein, wissen Sie.
Wie denn nun. Kommt’s zur feindlichen Übernahme? Bewahren Boris und Betty ihr spätes Glück? – Wir sind in England. Und dort endet seit zwei Jahrhunderten jedenfalls im literarischen Sektor jede Romanstory, die von Pensionären gelesen wird, mit der Beantwortung der bangen Frage: Wer kriegt das Erbe? Die hier zu beantworten, wäre gemein. Denn, ich garantier’s, es kommen einem die Tränen. Vor Glück. Schnief.
DIETRICH KUHLBRODT
„Grabgeflüster – Liebe versetzt Särge“. Regie: Nick Hurran. Mit Brenda Blethyn, Alfred Molina, Christopher Walken, Naomi Watts, Beverly Hotsprings u. a. Großbritannien/USA 2002, 94 Minuten