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Archiv-Artikel

Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?

Bei aller Kritik an Altkanzler Helmut Kohl: Eigentlich sollten ihm seine Gegner für seine dorfbürgermeisteroiden Dunkeltaten dankbar sein – denn so erspart er ihnen, zuzugeben, dass er größer war als vermutet

Von SR

taz: Was war schlecht in der letzten Woche?

Friedrich Küppersbusch: Das Frühjahrsgutachten.

Was wird besser in dieser?

Das Frühjahr, ohne Gutachten.

Heute ist der Tag der Pressefreiheit. Die gehört, wie Wohlstand, Demokratie und Mercedes, zu den Dingen, die wir zum Glück haben – und andere nicht. Oder? Gäbe es diesbezüglich etwa auch bei uns etwas zu verbessern?

Berthold Brechts Radiotheorie, wonach „jeder ein Sender, jeder ein Empfänger“ werden möge, war zuvor im Buchdruck und ist danach noch einmal im Fernsehen gescheitert. Auf dem deutschen Fernsehmarkt gibt es nicht einmal mehr Mittelstand, bei Radio und Zeitungen kaum noch. Die Politik sieht Medienpolitik unter Standortgesichtspunkten; gerade Sozialdemokraten mögen Medienkonzerne, wenn sie im Einzugsgebiet einer SPD-Landesregierung sitzen. Nur der olle Brecht ist mit den Seinen längst ins Internet geflohen; dessen Freiheit es bevorzugt zu wahren gilt. Was nichts daran ändert, dass wir uns aus vergleichsweise komfortabler Lage um jene kümmern können, denen Presse- und Meinungsfreiheit Gefahren für Leib und Leben bringen.

Rot-Grün will jetzt bei der Ausbildungsplatzabgabe ein Modell, das eine freiwillige Einigung mit den Unternehmern möglich macht und Sanktionen vorsieht, wenn dies scheitert. Ist das in Ordnung?

Klar.

Funktioniert die Arbeitsteilung zwischen Müntefering und Schröder eigentlich?

Prüfstein werden die Wahlen dieses Jahr. Riskant wird’s, wenn die SPD-Basis nach vielen Niederlagen und kurz vor der NRW-Katastrophe den Wechsel an der Spitze fordern wird. Bis dahin funktioniert die Doppelspitze – unter Schönwetterbedingungen bisher – gut, jawoll.

In Berlin darf man jetzt bis 30 Gramm Canabis straffrei besitzen. Wieso tut sich die Republik, anders als die Schweiz oder Holland, so schwer mit dem logischen nächsten Schritt – der Legalisierung?

Ich weiß auch nicht, warum man mit Zeug für 60 Joints in der Tasche rumlaufen soll, und bitte den betreffenden Personenkreis, sich meinen Kindern nicht unter 50 Meter anzunähern. In den Niederlanden gelang es, durch die Legalisierung von Haschisch dessen Handel den Dealern wegzunehmen, also die Umsteigerkarriere zu jeweils härteren Sachen zu unterbrechen. Das war jedoch ein längerer Weg. Egal. Je verfügbarer Shit wird, desto teurer der Tabak; schon heute kann jede Milchschnitte kiffen, aber nur wir wirklich verwegenen Jungs trauen uns noch zu rauchen.

Am Donnerstag treffen sich die Ministerpräsidenten der Länder, um über die Föderalismusreform zu beraten. Brauchen wir die? Und wieso sagen fast alle, dass wir sie brauchen, und trotzdem kommt dabei – außer ganz vielen Treffen über Föderalismusreformen – nichts heraus?

Weil’s eine Operation am offenen Herzen ist. Man kann von den Repräsentanten Bremens, des Saarlandes oder Hamburgs nicht erwarten, dass sie ihre eigene Abschaffung fordern. So wenig wir auf das reuige Eingeständnis schuldhaften Geizes aus Bayern hoffen dürfen. Ein Neuzuschnitt der Länder und ihrer Rechtsbeziehungen ging 1949, wäre vielleicht 1989 nochmal gegangen, geht also heute kaum, nur in winzigen Schritten.

Am Samstag treten Angela Merkel und Helmut Kohl bei der Eröffnung des Europawahlkampfes der CDU in Saarbrücken auf. Am Sonntag sind Kohl und Koch beim 60. Geburtstag von Petra Roth in Frankfurt. Hat die Union den Kanzler der schwarzen Kassen schon wieder ganz und gar ins Herz geschlossen? Wie nennt man so ein Phänomen – gezielte, kollektive Vergesslichkeit?

Wollen wir Kohl nicht dankbar sein für seine dorfbürgermeisteroiden Dunkeltaten? Ansonsten hieße es: Europa – hat er Recht; Euro – funktioniert; Deutsche Einheit – eh feine Sache; und jedenfalls keine deutsche Kriegsbeteiligung, solange er regierte. Mit seinem ehrenlosen Wort und den Kassentricks erspart er vielen, zuzugeben, dass er größer war als vermutet – sehr rücksichtsvoll.

Und was macht Borussia Dortmund?

Mich ratlos. Hitzfeld zurückholen?

FRAGEN: SR