: Krawall light
Kreuzberger wollten mehrheitlich feiern und riefen Randalierern „Haut ab!“ entgegen
AUS BERLIN CEM SEY UND GEREON ASMUTH
Erst sah es nicht danach aus, dass der Kreuzberger Revolutionäre 1. Mai es bis in die Tagesschau schaffen würde. Doch dann knallten, pünktlich um 20 Uhr, mitten im Szenekiez SO 36 ein halbes Dutzend Leutraketen. „Das ist das Signal“ ruft ein türkischer 1.-Mai-Gänger. In Sekundenschnelle formt sich ein neuer, nicht genehmigter Demonstrationszug. In den Seitenstraßen ist zu diesem Zeitpunkt das vom Bezirksamt als Gegenstrategie zu den Krawallen organisierte „Myfest“ noch im Gange.
„Hoch die internationale Solidarität“, skandieren die marschierenden Autonomen Kommunisten, dahinter ein paar Maoisten. Unter ihnen viele junge Frauen und Männer türkischer oder kurdischer Abstammung – politisch motivierte Migranten, die aber nichts mit denen zu tun haben, die auf dem „Myfest“ an Ständen der PKK und der PDS Infomaterial verteilen und zu anatolischer Musik tanzen.
Nachdem sich die Demonstranten in Bewegung setzen, eilen auch die von frühreren Maikrawallen bereits bekannten türkischen Jugendlichen aus dem Kiez dazu. Sie agieren in kleineren Gruppen aufgeteilt und offensichtlich koordiniert. Dennoch kommen sie nicht weit. Die Sicherheitscrew des „Myfestes“ – mehrheitlich Türken – versucht die unerlaubte Demonstration zu verhindern.
Als deutsches Sicherheitspersonal herbeieilt, skandieren die Türken unter den Demonstranten: „Nazis raus!“ Und kämpfen sich mit Fäusten und Tritten den Weg frei. Jetzt stimmt die Kulisse: Polizeiwagen sind vorgefahren, Beamte haben Aufstellung genommen, Steine und Flaschen fliegen. Nach einigen Minuten antwortet die Polizei mit einem schnellen Knüppeleinsatz.
Und dennoch bleibt es im Vergleich zu den Vorjahren erstaunlich ruhig. Die meisten Menschen haben sich zum Feiern in Kreuzberg eingefunden. Die Randalierer werden von „Haut ab!“-Rufen begleitet. Und die Polizei, der diese Unmutsparole bisher stets galt, verzichtet auf die sonst übliche Frontbildung. Auch auf die sonst üblichen wahllosen Festnahmen verzichtet die Polizei. Stattdessen greift die aus der ganzen Bundesrepublik rekrutierte Polizei immer wieder gezielt einzelne Personen aus der Menge. Kleinere Gruppen von Polizisten machen Videoaufnahmen, die noch vor Ort ausgewertet werden. „Präzise chirurgische Schnitte“ lautet das Motto dieser Polizeistrategie. „Gut zureden, hart zuhauen“ nannte es der Berliner Tagesspiegel.
Schon am Nachmittag brannten in Berlin-Friedrichshain einige Müllcontainer und ein Auto. Doch auch das hatte mit den traditionellen Ausschreitungen nichts zu tun. Hier wollte eigentlich die NPD zusammen mit rechtsextremistischen Kameradschaften aus dem ganzen Bundesgebiet aufmarschieren. Doch tausende Gegendemonstranten hatten sich in den Weg gestellt. Die Polizei hatte alle Mühe, die Strecke freizubekommen. Als die Feuer aufloderten, gab sie es auf. Die 2.300 Nazis mussten nach einem Siebtel der geplanten Wegstrecke umkehren.