: „Für Beamte ist das exotisch“
Beamte reagieren oft ungeduldig auf Gehörlose, weiß Gebärdendolmetscherin Joanna Martin. Der Anspruch auf einen Übersetzer kann die Selbstbestimmung der Betroffenen stärken
INTERVIEW SASCHA TEGTMEIER
taz: Frau Martin, bisher müssen Gehörlose einen Gebärdendolmetscher selbst bezahlen. Deswegen verzichten viele darauf. Was wird sich künftig mit dem Anspruch auf einen staatlich beeidigten Dolmetscher ändern?
Joanna Martin: Ohne den Anspruch auf einen solchen Dolmetscher ist es für Gehörlose schwierig, die Behördenangelegenheiten selbst zu erledigen. Das machen dann andere für sie. Das heißt aber, dass die Gehörlosen am Geschehen nicht richtig beteiligt sind. Die neue Regelung ist also Teil eines Emanzipationsprozesses der Behindertenbewegung. Die Gehörlosen sollen nun für sich selbst bestimmen können.
Wie kann die Kommunikation auf einer Behörde ohne Dolmetscher überhaupt funktionieren?
Da geht zum Teil alles schief, was schief gehen kann. Wenn die Gehörlosen ganz alleine zu einer Behörde gehen, dann versuchen sie, von den Lippen abzulesen oder sich schriftlich zu verständigen. Das ist aber sehr schwierig. Häufig landen sie dann in der falschen Abteilung, beim falschen Mitarbeiter oder sie füllen einen falschen Antrag aus.
Oft helfen Familienmitglieder dabei.
Ja, doch dabei kommt der Gehörlose eben nicht selbst zu Wort. Er kann seine eigenen Bedürfnisse nicht äußern. Außerdem ist ein Angehöriger weder ausgebildet noch unparteiisch. Deshalb sind professionelle Dolmetscher wichtig.
Wie werden die Gehörlosen bei den Behörden Ihrer Erfahrung nach behandelt?
Ich habe das Gefühl, dass sie ernster genommen werden, wenn ich als Dolmetscherin dabei bin. Die Beamten werden sonst oft ungeduldig und begreifen nicht, warum die Gehörlosen sie nicht verstehen. Für sie ist Gebärdensprache etwas sehr Exotisches.
Wie läuft ein Gespräch auf einer Behörde ab?
Der Dolmetscher sollte eigentlich im Hintergrund bleiben und wirklich nur die Kommunikation ermöglichen. Dazu müssen aber sowohl die Hörenden als auch die Gehörlosen lernen, wie sie über einen Dolmetscher miteinander sprechen. Auf beiden Seiten fehlt es allerdings oft an der nötigen Erfahrung, weil die Dolmetscher bislang viel zu selten vom Staat gestellt werden. Der Hörende sollte beispielsweise den Gehörlosen und nicht den Dolmetscher ansprechen.
Bei einem typischen Behördengespräch fallen zwangsläufig Wortungetüme wie „Erwerbsunfähigkeitsrente“. Wie können Sie so etwas in die Gebärdensprache übertragen?
Eine Möglichkeit ist, das zusammengesetzte Wort in seine Bestandteile zu zerlegen und diese einzeln zu übersetzen. Bei Gehörlosen, die aber keine oder nur eingeschränkte Erfahrung mit der hörenden Welt haben, kann man nicht das Wort übersetzen, sondern muss den Inhalt erklären. Also in dem Beispiel etwa: die Rente, die jemand bekommt, wenn er nicht mehr arbeiten und verdienen kann.
Und wie stellen Sie das Wort Rente dar?
Sie halten die beiden Hände flach übereinander vor Ihrem Körper, so dass sie sich berühren und im rechten Winkel zueinander stehen. Die Finger sind dabei zusammen. Dann drücken Sie die Hände ungefähr fünf Zentimeter nach unten. Das heißt Rente.