wir lassen lesen : Vom Ursprung einer fast vergessenen Sportart
Return aus dem Fass
In keinem Beitrag über das Tennisturnier, das 1877 zum ersten Mal im All England Lawn Tennis & Croquet Club zu Wimbledon ausgespielt wurde und das am kommenden Montag wieder beginnen wird, darf der Hinweis fehlen, dass es sich um ein ausgesprochen traditionsreiches Turnier handelt. Weitaus traditionsreicher als das Turnier ist allerdings der Tennissport selbst.
Vom Tennis und seinen Wurzeln handelt ein Büchlein, das schon vor knapp fünfzehn Jahren erschienen ist und bis heute vollkommen zu Unrecht ein äußerst karges Dasein fristet. Das Buch gibt gleich zu Beginn Auskunft darüber, wo die Keimzelle des fast 700 Jahre alten Spiels lag. Eine Ad-hoc-Erhebung in einem – immerhin – Tennisclub ergab, dass sieben von zehn Befragten glauben, diese Keimzelle sei in England gewesen. Zwei antworteten „weiß nicht“, und lediglich einer der Befragten, der wie ein aus dem Hessischen Zugereister sprach und der sich tatsächlich als ein aus dem Hessischen Zugereister entpuppte, antwortete korrekt mit: „Frankreisch, glaub’ isch.“
Im Nordfrankreich des 13. Jahrhunderts konnte der Zeit- und Klostergenosse Mönche bei einem Ballspiel beobachten, das dem späteren Tennis ähnelte und auf den Namen Cache (von lateinisch captare: jagen, fangen) hörte. Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts koexistierten die Bezeichnungen Cache und Jeu de Paume (wörtlich übersetzt etwa: Spiel mit der Handfläche), was ein irreführender Name war, da sich bereits Anfang des 16. Jahrhunderts zunächst hölzerne, später saitenbespannte Schläger durchsetzten, die schon ahnen ließen, dass Dunlop einige Jahrhunderte später den Maxply erfinden würde.
Als Ball diente eine mit Haaren gefüllte Lederkugel, die so hart war, dass es nicht nur gelegentlich zum Verlust von Zahnsubstanz kam, sondern vereinzelt ganze Leben auf dem Tennisplatz gelassen wurden. Unfaires Verhalten, das heute im Profitennis ratzfatz zu einem Punktabzug führt, wurde schon damals strengstens geahndet: So wurde 1541 Sir Edmund Knevet wegen Verprügelns des Gegners zum Verlust seiner rechten Hand verurteilt, später allerdings begnadigt.
Das erste Tennislehrbuch verfasste im Jahre 1555 der italienische Theologe Antonio Scaino. Scaino schreibt: „Das Tennisspiel ist für Kinder, Jugendliche, Männer – ja auch für Ältere geeignet. Es erfreut gleichermaßen den Heiteren und den Melancholiker. Wie soll man die Gefühle des Glücks und der Befriedigung beschreiben, die ein Sieger nach einem langen und anstrengenden Kampf empfindet? Die Freude ist so groß, dass der Gewinner sie nicht verbergen kann und Luftsprünge vollführt.“ Entgangen war Scaino offenbar, dass auch Frauen inzwischen im Tennis zu Ruhm und Ansehen gelangt waren. Die bekannteste Spielerin hieß Margot aus dem Hennegau, eine Dame, die über eine so starke Vor- und Rückhand verfügte, dass man sie – ohne Erfolg – zu überreden versuchte, in Männerkleidern zu spielen, da dies wesentlich bequemer sei.
Raymond Masson, der um 1740 die Tennisszene dominierte (sozusagen die Margot des Herrentennis), war durch seine Überlegenheit derart gelangweilt, dass er sich in ein an der Außenlinie liegendes Fass zu setzen und für den Return daraus hervorzustürmen pflegte. Winning ugly würde man heute dazu sagen.
Der Tennissport ist, keine Frage, hierzulande wieder die Randsportart geworden, die er lange Zeit war. Um das Interesse des Fernsehzuschauers, aber auch des so genannten Breitensportlers wieder zu wecken, werden seit Jahren Regeländerungen diskutiert, die über das aus Mixed-Turnieren hinlänglich bekannte Zukleben eines Auges und das Luftballon-an-den-Schläger-Binden hinausgehen: größere und weichere Bälle, weniger Aufschläge und kleinere Felder werden gefordert. Dabei ist Massons Ansatz der richtige: Wenn Skilangläufer ihr Tun dadurch interessanter machen, dass sie zwischendurch auf Scheiben schießen, warum sollen Tennisspieler dann nicht nach jedem Schlag einen doppelten Rittberger springen?
Bleibt die Frage, warum beim Tennis so komisch gezählt wird. Auch diese wird in dem Buch beantwortet GERALD WENGE
Theo Stemmler: „Kleine Geschichte des Tennisspiels“, Insel-Verlag, Frankfurt/Main 1988, 98 Seiten, 10,20 €ĽVom selben Autor im selben Verlag: „Kleine Geschichte des Fußballspiels“