: Schicke Reststrände
Sylt: reich, schön & schwul
Mykonos des Nordens, nennt man es, ein Ort des Insularen: In Schicki-Bussi-Schicki-Kreisen wurden Schwule schon immer am ehesten toleriert. Dementsprechend sind gleichgeschlechtlich Liebende auf Sylt eher anzutreffen als auf Amrum oder Föhr – und außerdem sind sie alle gut verteilt auf die Orte von Archsum bis Westerland, nicht so in Rudeln auftretend wie auf der griechischen Insel.
Überpflegte (heterosexuelle) vierzigjährige Autoverkäufer aus Hamburg unterscheiden sich ja schon rein äußerlich kaum von einem gemeinen Schwulen, und so verzehrt man in stiller Eintracht Scampi bei Gosch am Lister Hafen, der nördlichsten Fischbude Deutschlands. Auch wenn Stammgast Wolfgang Joop sehr klug zu bedenken gibt, dass „kein Trost darin zu finden ist, allein auf Sylt im Stehen Austern zu fressen“. Dafür trifft man dort garantiert die gesamte SprecherInnenriege von ARD-aktuell.
Offen schwul ist hingegen die Westerländer Diskothek Kleist-Casino (KC). Über die Pforte des KC wacht Türsteherin Melli, dereinst liiert mit Arndt von Bohlen und Hallbach. Ein Name, der an die guten alten Zeiten von Sylt erinnert: Schon in den Zwanzigern war die gesamte Familie Thomas Mann auf Sylt anzutreffen, in den Sechzigern und Siebzigern etablierte sich die Insel als Treffpunkt sowohl der Medienaristokratie (die Journalistin Ulrike Meinhof war oft dort) als auch der Glamourelite (Gunter Sachs).
In der legendären Kneipe „Pony“ in Kampen tranken die Familien Flick, Springer und Bismarck. Was nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass der Lack im Großen und Ganzen ab ist, heute versaufen im „Pony“ hauptsächlich die Kinder aus dem feinen Hamburg-Blankenese das Geld ihrer Eltern. Christian Kracht hat diesem Barbourjacken tragenden Milieu in seinem Roman „Faserland“ ein literarisches Denkmal gesetzt.
Ein Hauch von Dekadenz liegt freilich immer noch über Sylt, trotz der vielen Prolls, die das Eiland vor Jahren über den Hindenburgdamm eroberten, als die Bundesbahn ihr Wochenendticket auch für Fahrten nach Westerland gültig erklärte.
Die Insel schrumpft im Übrigen unaufhörlich. Wissenschaftler haben berechnet, dass Sylt im Jahr 2300 fast gänzlich von der Landkarte verschwunden sein wird. Bis dahin gilt es, Sylt zu nutzen, wie es eben ist: Mit einem Flair aus Nordseeluft, dem Odeur von Meeresgetier und einem Menschenschlag, der gerne teure Autos fährt und auf dicke Hose macht. Wobei sich echte Connaisseurs um diese Art von Touristen nicht scheren: Claudia Roth ruhte sich auf Sylt aus, als die Debatten um die Homoehe besonders heftig wogten.