Die lächelnde Peinigerin aus West Virginia

Die Gefreite Lynndie R. England ist zur meistverabscheuten US-Soldatin des Irakkrieges geworden

Sie ist so unheimlich normal. Private Lynndie R. England, 372. Einheit Military Police, 21 Jahre alt, geboren 1982 in Kentucky, aufgewachsen in Fort Ashby, West Virginia, einem winzigen Nest nahe der Grenze zu Maryland, wo ihr Vater für eine Eisenbahngesellschaft arbeitete. Schule, High School, eine gute Schülerin, unauffällig, Berufswunsch: Meteorologin. Wenn sie mit zum Jagen kam, habe sie manchmal Schwierigkeiten gehabt, die Tiere zu töten, berichtet ihr Vater den Reportern, die in die kleine Stadt eingefallen sind.

Denn England ist von einem Tag auf den anderen berühmt geworden, seit die Fotos um die Welt gehen, für die sie im Gefängnis von Abu Ghraib, Irak, posierte. England mit Zigarette im Mundwinkel vor nackten irakischen Gefangenen mit Säcken über dem Kopf, England mit einer Hundeleine, die um den Hals eines Gefangenen geschlungen ist, England Arm in Arm mit ihrem Freund Charles A. Graner.

Im Januar, berichtet die Mutter der New York Times, habe Lynndie sie angerufen und erzählt, es sei etwas Schlimmes passiert, sie solle sich aber keine Sorgen machen. Das „Schlimme“ müssen die Ermittlungen von General Antonio Taguba gewesen sein, der Lynndie R. England als „Verdächtige“ aufführt – die Fotos jedenfalls, auf denen ihre Teilnahme an den Misshandlungen dokumentiert ist, entstanden bereits im November. Schlimm war, dass alles herauskam. Schlimm war für Mutter Terrie, als sie morgens die Bilder auf CNN sah, immer wieder.

Nein, niemand kann sich das erklären. Die Mutter nicht, die vermutet, Lynndie habe Befehle ausgeführt. Die Freundin nicht, die meint: „Es liegt nicht in ihrer Natur, so etwas zu tun. Es gibt nicht eine bösartige Seite an ihr.“ Und England selbst, derzeit schwanger von Graner und versetzt nach Fort Bragg in North Carolina, auch nicht: „Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort“, soll sie gesagt haben.

Mit knapp 18 hat sie sich gegen den Willen der Eltern als Reservistin eingeschrieben, wollte sich bei der Armee das Geld fürs College verdienen, lehnte die angebotene Hilfe ihrer Eltern ab. Sie wollte zum Militär, unbedingt. Während die anderen Studenten Ferienjobs annahmen, absolvierte sie die Grundausbildung. Im März 2002 erklärte sie ihrer Mutter, sie habe gerade geheiratet – ein halbes Jahr später war die Ehe schon wieder geschieden. England liebt spontane, radikale Entscheidungen.

Doch wie kommt es, dass eine normale junge Frau jedes Gefühl verliert, was richtig und was falsch ist, oder wenigstens, was erlaubt ist und was verboten? Aber warum auch wird eine knapp 21-Jährige ohne Erfahrung, Training und Ausbildung überhaupt Aufseherin von Gefangenen? Gegen England wird derzeit nicht ermittelt, gegen ihren Freund Graner schon. Sie verlor nicht einmal ihren Job. Und doch wird ihr Leben nie mehr so sein wie vorher – genau wie das derjenigen, die da vor ihr standen und lagen, nackt, gedemütigt und mit Kapuzen über dem Kopf. BERND PICKERT