: Die Einsamkeit der Rinderhirten
Eine Diva aus Mali: Die Sängerin Oumou Sangaré besitzt nicht nur eine der majestätischsten weiblichen Stimmen Westafrikas. Mit ihrem Eintreten für Frauenrechte und gegen Polygamie ist sie auch für junge Frauen in ihrer Heimat ein feministisches Idol
Von ANNA-BIANCA KRAUSE
Es ist schwer, ihrer Stimme nicht zu verfallen. Wenn sie aus den Backgroundchören hervorsticht, dann fühlt es sich an, als ritze sie mit jedem Ton kleine Botschaften in die Haut der Zuhörer. Ohne ein Wort ihrer Sprache Bambara zu sprechen, versteht man, dass diese Frau ein Anliegen hat. Und sie strahlt Sinnlichkeit aus, und das nicht zu knapp.
Oumou Sangaré ist in Westafrika ein Star. Und nicht nur da: Sie ist die erste Sängerin aus Mali, der die Welt zuhört. Zwar wird sie in Europa auf der Straße vielerorts nicht immer gleich als prominentes Wesen wahrgenommen, doch ihre Erscheinung zieht auch so die Blicke auf sich.
Im Café eines Pariser Luxushotels an der Place Vendome verblassen die Klunker und die kiloweise aufgetragene Kosmetik bei ihrem Eintreten schlagartig. Ledermantel und Tigerhut wirken wie Verstärker an der ohnehin großen Frau, lassen sie noch imposanter wirken, noch Ehrfurcht gebietender.
Oumou Sangaré ist vieles: extravagante Diva, Wegbereiterin eines neuen weiblichen Selbstbewusstseins in Mali, beeindruckende Sängerin, Songwriterin mit Zivilcourage, Mutter, Bühnenkünstlerin mit majestätischem Flair – und ein Kono, eine Brieftaube. So jedenfalls nennt man in ihrer Heimat, in der Wassoulou-Region im Süden Malis, die Sängerinnen, die Nachrichten bringen – das heißt, die selbst etwas zu sagen haben. Und Oumou Sangaré hat Sendungsbewusstsein: Sie weiß, dass die Jugend Malis – und besonders die jungen Frauen – an ihren Lippen hängen, wenn sie von Freiheit und Liebe singt oder gegen die Polygamie.
Mit fünf Jahren schon macht sie an der Seite ihrer Mutter, die als Sängerin bei Hochzeits- und Beschneidungszeremonien auftritt, die ersten vokalen Schritte. „Wenn ich gesungen habe, bekam ich immer sehr schnell Geld von den Leuten. Ich war ja damals nicht die Einzige, die gesungen hat. Da habe ich mich gefragt: Warum kriegen die anderen nicht so viel zugesteckt? So ist mir bewusst geworden, dass ich etwas habe, was die anderen nicht haben, und ich habe mir gesagt: Wahrscheinlich singe ich gut und habe eine schöne Stimme“, resümiert Oumou Sangaré.
Diese Stimme löste auch bei der Mutter anfangs eine Gänsehaut aus. „Du hast die Stimme meiner Mutter gestohlen“, warf sie der Tochter vor – so ähnlich waren sich das Timbre der bereits verstorbenen Großmutter, einer berühmten Sängerin, und das der Enkelin. Beide Frauen sind schuld an Sangarés musikalischem Lebensweg. Die eine, weil sie vom Singen leben wollte. Die andere, weil sie in einer polygamen Zwangsehe leben musste. Diese persönliche Geschichte ist ein Motor für Oumou Sangaré. Der Leidensweg ihrer Mutter veränderte ihr Leben so sehr, dass sich im Interview ihre Stimme verwandelt. In einer Mischung aus Zärtlichkeit und Aggression spricht sie plötzlich wie für ein nicht vorhandenes Publikum: „Ich habe diesen Song für meine Mutter geschrieben und gesungen. Aber durch sie richte ich es an alle afrikanischen Frauen. Ich sage ihnen: Ihr müsst mutig sein! Nehmt euch ein Beispiel an meiner Mutter. Sie ist eine Frau, die zu viel geschluckt hat. Ich habe noch nie ein Gefängnis gesehen wie das, in dem meine Mutter auf dieser Erde gelebt hat. Also sage ich: Du, schwarze Frau, sei selbstsicher, lass dich nicht entmutigen. Sei streng zu den Männern, denn sie sind im Unrecht.“
Die Mittdreißigerin hat sich einen Mann gesucht, der keine Ambitionen auf andere Ehefrauen hat, während sie oft monatelang auf Tournee ist. Doch Oumou Sangarés Welt ist so sehr auf den Kopf gestellt, dass ihr Sohn sie „Papa“ nennt, wenn sie dann endlich mal wieder zu Hause auftaucht. Deshalb ließ sie sich sieben Jahre Zeit zwischen den letzten beiden Alben. „Ich war ja zwölf Jahre lang fast ohne Unterbrechung in der Welt unterwegs. Mein Volk will mich sehen, mein Sohn kennt mich nicht, deshalb bin ich erst einmal zu Hause geblieben. Habe ein kleines Hotel gebaut, dem ich den Namen meiner Musik gegeben habe: Residenz Wassoulou. Und ich habe die Zeit genutzt, um in ganz Mali aufzutreten.“
So ist sie in Bamako aufgetreten, wo sie geboren ist, und in der Wassoulou-Region, wo ihre Vorfahren herkommen, die nomadische Rinderhirten waren. Aus dem Süden hat sie auch das Instrument, das neben ihrer Stimme die Musik Sangarés dominiert, die sechssaitige Kamele Nghoni, eine Harfe. Ihre Töne kullern durch die Melodien und treiben alle anderen Instrumente an. Neben E-Bass und E-Gitarre, den Bläserparts und den Backgroundchören, die ihre Cousinen singen, hat die Geige eine weitere Hauptrolle übernommen – sie darf so richtig kitschig sein. „Es war das einzige Instrument der Hirten, das sie in der Einsamkeit ihres Daseins zum Trost dabeihatten. Ich kriege immer eine Gänsehaut, wenn ich Geigen höre. Das hat nichts mit der Gegenwart zu tun, das muss von meinen Ahnen stammen. Ich bin eine Fulbe, und eine Fulbe kann dem Klang der Geige nicht widerstehen.“
Oumou Sangaré selbst spielt nur mangelhaft Klavier und auch sonst kein Instrument. Um ihre Songs zu entwickeln, hört sie zuerst aufmerksam dem Alltagsleben zu, lässt sich anschließend ausgiebig Zeit, um einen Text zu schreiben, und dann erst setzt sie sich mit ihrem Kamele-Nghoni-Spieler in eine ruhige Ecke. Das Ergebnis wird stets mit Spannung erwartet: „Die Männer verschränken die Arme und warten mit misstrauischen Mienen, die Frauen freuen sich darauf.“
Für ihr letztes Album hat Sangaré die erste goldene Schallplatte bekommen, die in Mali je vergeben wurde. Die Kassette verkaufte sich 200.000 Male – und das in einem derart rasenden Tempo, dass die Raubkopierer einfach nicht schnell genug auf dem Markt waren.
Die jungen Frauen Westafrikas warten aber nicht nur auf neue Texte – sie versuchen auch, den typischen Sangaré-Stil zu kopieren, ihr extravagantes Auftreten und ihre schillernden Bühnenkostüme. Nur auf den mit Muscheln angefüllten Kürbis, den sie bei Konzerten in der Hand hält, verzichten die Epigoninnen.
Muntené, die Großmutter, hat den ausgehöhlten Kürbis einst der kleinen Enkelin geschenkt, damit sie ihre Milch daraus trinken kann. Für Sangaré ist der Kürbis in dreifacher Hinsicht ein Zeichen: Sie bewahrt mit ihm eine uralte Fulbe-Tradition. Er erinnert an ihre Vorfahrin. Und an das Leben jener afrikanischen Frauen, die einen solchen Kürbis unterm Arm haben, wenn sie als Braut zum Haus ihres zukünftigen Mannes gehen.