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Archiv-Artikel

Beweise: h=r+r1+r2

Bei der Mathematik-Olympiade ließen 180 junge Rechenfreaks aus ganz Deutschland die Zirkel kreisen. Drei Tage lang war die International University Bremen das Zuhause für schlaue Kinder

Giulio, 15 Punkte im Mathe-Abi: „In der Schule habe ich das Fach gehasst!“

taz ■ Der Junge krallt seine Finger in ein altes Stofftaschentuch, drückt es ans Ohr, wischt sich den Schweiß von der Stirn. Vor ihm auf dem Tisch liegen Zirkel, Geodreieck und ein Blatt Papier mit drei Matheaufgaben.

180 schlauen Kindern und Jugendlichen rauchen seit Montagmorgen die Köpfe bei der 42. Mathematik-Olympiade, in diesem Jahr zu Gast in der International University Bremen. Aus ganz Deutschland sind Schüler der Klassen acht bis 13 angereist, haben Schul-, Regional-, und Landesausscheidungen hinter sich gebracht, um sich nun mit den Besten zu messen. Seien es von Akne geplagte Brillenträger oder Sunnyboys mit Walkman und Baggypants – sie alle sind absolute Mathe-Freaks.

So wie Giulio Schwober, 17 Jahre alt, aus Leipzig: Eben hat er mit einem Schnitt von 1,0 das Abi bestanden, Leistungskurs Mathe, 15 Punkte in der Prüfung. Wenn er nicht gerade Klavier spielt oder Japanisch lernt, verbringt Giulio seine Freizeit mit Vektoren, Logarithmen und Sinuskurven. „In der Schule habe ich Mathe gehasst“, nuschelt er unter seinem blonden Oberlippenflaum. „Aber privat macht es mir Spaß. Ich bin jetzt schon zum siebten Mal bei der Mathe-Olympiade und kenne auch schon viele Leute von früheren Wettbewerben.“ Sagt‘s und schlurft weiter, ganz allein, über einen völlig ausgestorbenen Campus. Die „richtigen“ Studis der International University haben gerade Semesterferien, die anderen Mathe-Asse brüten zumeist noch über ihren Aufgaben.

Schneller fertig geworden ist David Meyer-Riehl. Der 14-jährige Bremer, der aussieht, als sei er erst zehn, hat es sich in einem Liegestuhl gemütlich gemacht und blättert in der neuesten Ausgabe des Wissensmagazins „P.M.“. „Hier muss man nachdenken, hier ist Kreativität gefragt“, sagt David und liest eine Aufgabe für Achtklässler vor: „Sei h die Länge der Höhe CD eines Dreiecks und seien r1 und r2 die Längen der Inkreisradien der Dreiecke ADC bzw. CDB. Beweise, dass aus diesen Voraussetzungen stets h=r+r1+r2 folgt!“

In seiner Schule, dem Ökumenischen Gymnasium Bremen, hat David beim Vorentscheid souverän den ersten Platz abgeräumt, hier lief es für ihn nur „geht so“. Für David ist damit der Traum vom Hauptgewinn geplatzt, vom „Voyage 200“, einem Luxustaschenrechner, der sonst 250 Euro kostet. Verliehen wird das gute Stück heute Morgen, wenn sich alle Mathe-Asse zur Siegerehrung versammeln. Auch die ist geprägt von kryptischer Mathematik. Das Organisationsteam informiert: „Etwa 40% der Teilnehmer sollen einen Preis bekommen, gestaffelt nach Altersklassen, im Verhältnis eins zu zwei zu drei, wobei Sachpreise auf Geldpreise angerechnet werden, während...“

Unterdessen strömen auch die anderen Rechenkünstler ins Freie, sprechen über die Aufgaben und machen sich auf den Weg zum Speisesaal. Dort ist das Essen für die Olympia-Teilnehmer gratis: Geflügel, eine Salat-Bar, Süßigkeiten – food for thoughts. Zwei Vormittage müssen die Mathematiker über ihren Klausuren sitzen, an den Nachmittagen geht es „zur Entspannung“ ins Museum oder zu Mercedes, bevor direkt auf dem Campus in Einzelzimmern genächtigt wird.

An einem der Speisetische sitzt Hella Ußler, schaufelt ihren dritten Teller Reis in sich hinein und schwärmt, sie habe drei Jahre lang „einen supertollen Mathelehrer“ gehabt. Ihm verdanke sie ihre Begeisterung für das Fach und auch die Teilnahme an dem Wettbewerb. Die 14-Jährige aus Rostock ist eins von nur 41 Mädchen – die Olympiade wird immer noch von männlichen Mathefreaks dominiert. Besonders gefällt Hella, „dass wir nachts so lange aufbleiben dürfen, wie wir wollen, weil die Betreuer total locker sind.“ Das Bremer Nachtleben will sie trotzdem nicht erkunden: „Schließlich müssen wir morgen früh raus.“ Torben Waleczek