Sie möchte ein Eisbär sein

Björk und wie sie die Welt sieht: Mit dem Regensturm kam die isländische Sängerin am Montag nach Berlin und legte Zeugnis ihrer Ausnahmerolle ab

Manchmal nervt diese Urmel-aus-dem-Eis-Niedlichkeit von Björk ja auch ein wenig

von DANIEL BAX

Ein Eissturm war es zwar nicht, der am Montagabend über die Stadt hinwegfegte, aber doch ein heftiger Regensturm immerhin. Abgebrochene Äste pflasterten den Weg zur Arena in Treptow, wo zu diesem Zeitpunkt noch die Sängerin Peaches gegen den Sturm anlärmte: eine passende Einstimmung auf das Konzert von Björk. Denn irgendwie passt das Bild von entfesselten Naturgewalten ja zu den musikalischen Gefühlswallungen der isländischen Sängerin, die mit ihrer Selbststilisierung solche Assoziationen selbst gerne bestärkt.

So auch am Montagabend, als Björk mit dem Sturm nach Berlin kam, zu ihrem einzigen regulären Deutschland-Konzert in diesem Jahr, und ein eindrucksvolles Zeugnis ihrer künstlerischen Ausnahmerolle ablegte. Denn obwohl sie sich längst allen nahe liegenden Schubladen entzieht, hat sie inzwischen den Status einer genreübergreifenden Indie-Ikone inne.

Mit ihrer Musik, vor allem auf ihren letzten Veröffentlichungen, beschwört sie vorwiegend ozeanische Gefühle: das Gleiten im Wasser, das Schweben im All. Gerade ihr letztes Album „Vespertine“ klang stellenweise wie der Soundtrack zu einem Unterwasser-Film und bekräftigte nachdrücklich ihren Ruf als eine Art Jacques Cousteau der Popmusik: eine Erforscherin der Meere zwischen Clubkultur, nordischer Avantgarde und Charts-Kompatibilität, versunken im Rausch der emotionalen Tiefe, mit ihren Gedanken und Gefühlen mindestens 20.000 Meilen unter dem Meer. Offenbar möchte auch Björk ein Eisbär sein, im kalten Polar.

Ein gewisses Gefühl der Schwerelosigkeit war auch die vorherrschende Stimmung, die sich beim Björk-Konzert in der Arena einstellte, zumal die Schwüle in dem klaustrophobisch-dunklen Industriebau ein wenig an ein U-Boot erinnerte. Links auf der Bühne hatte das siebenköpfiges Streichorchester Platz genommen, das seit Mitte der Neunzigerjahre den spezifischen Björk-Sound mitdefiniert. Rechts hinter den Reglern hatte sich die ebenso obligate Elektronik-Fraktion verschanzt, deren Klang aber nicht weniger organisch wirkte: Wenn von dort ein kratzendes Sample vom Band kam, meinte man, das Knirschen der Eisschollen zu hören.

Zwischen diesen beiden Fronten sprang Björk herum, in einem kugelbehängten Kostüm, das ein wenig nach einer exotischen Eskimo-Tracht aussah. Zu „Hunter“ trommelte sie wie eines dieser aufgedrehten Duracell-Männchen in die Luft. Später hüpfte sie entfesselt wie ein Flummi über die Bühne und tanzte mit eckigen Bewegungen, als würde sie an Fäden gezogen: Das sah dann aus, als sei sie geradewegs der Augsburger Puppenkiste enstprungen. Manchmal nervt diese demonstrative Urmel-aus-dem-Eis-Niedlichkeit ja, mit der sich Björk in Szene setzt und die ihr Tanzstil noch unterstreicht. Doch die meisten störte das nicht. Einige taten es ihr sogar nach und widmeten sich am Hallenrand dem Ausdruckstanz.

Dominiert wurde das Konzert von den bittersüßen Sinfonien ihrer letzten Alben: getragene Balladen, so versponnen und verträumt, das man dazu lieber in einem Konzertsessel liegen wollte, als sich in der unwirtlichen Arena die Beine in den Bauch zu stehen. Langweilig wurde es aber dennoch nicht, weil die musikalische Dramaturgie des Konzerts von geschickt gesetzten Show-Effekten unterstützt wurde: Mal loderte auf der Bühne eine Palette von Stichflammen auf, Geysiren in der Nacht gleich. Mal leuchtete auf der Leinwand hinter der Band der Sternenhimmel auf, und der Nordstern funkelte. Über das Firmament schwammen dann Fische und ließen die Sterne auseinander streben wie Lichter in einem Aquarium. Da freuten sich die jungen Indie-Mädchen mit Pferdeschwanz, Brille und Turnschuhen, und die schwulen Muskelboy-Pärchen in ihren Björk-T-Shirts kuschelten sich nur noch enger aneinander. Denn das war zwar ästethisch etwas nahe am Kitsch gebaut. Aber Björk verzeiht man das gerne.

Am Ende, nach der dramatischen Ballade „Bachelorette“, mündete das Programm dann doch noch in eine technoide Katharsis, und die Pyrotechnik kam zu ihrem finalen Einsatz. Der effektvolle Schlusspunkt weckte das Publikum wie mit einem Paukenschlag aus seiner Lethargie. Björk erntete dafür Jubel, Euphorie, Ekstase. Und ließ glatt vergessen, dass ihr Konzert keine 90 Minuten gedauert hatte.