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Archiv-Artikel

Der chaotische Weg zur Titelvereinigung

Absagen der besten Schach-Großmeister und der Skandal um die Ausladung israelischer Spieler belasten das für Juni geplante WM-Turnier des Weltverbandes Fide in Tripolis. Gesichert ist hingegen die Profi-WM Kramnik–Leko im Herbst

BERLIN taz ■ Alles andere als rosig sieht die Zukunft von Muammar al-Gaddafi aus: Jeder, der zuletzt mit Kirsan Iljumschinow, dem Präsidenten des Schach-Weltverbandes Fide, gemeinsame Sache machte, ist weg vom Fenster. Mit der Unterstützung von Saddam Hussein wollte Iljumschinow im Vorjahr die WM in Irak ausrichten, weswegen das Oberhaupt der russischen Republik Kalmückien als letzter Politiker dem Diktator in Bagdad seine Aufwartung machte. Bis vor wenigen Tagen sollte Machthaber Aslan Abaschidse im adscharischen Batumi die Damen-WM ausrichten und mit 700.000 Dollar Preisgeld ausstaffieren. Vergangene Woche musste Abaschidse nach Schießereien nachts gen Moskau flüchten. Jetzt will Iljumschinow die Frauen-WM selbst vom 21. Mai bis 8. Juni in seiner Residenz Elista durchführen.

Libyens Staatschef Gaddafi ließ sich von dem umtriebigen Kalmücken beschwatzen, in die Herren-WM der Fide vom 18. Juni bis 13. Juli in Tripolis Millionen zu pumpen. Das Turnier soll von 128 Spielern im K.o.-System bestritten werden. Doch anstatt dass der mit den USA auf Schmusekurs gehende Diktator dadurch in positives Licht gerückt wird, gibt es nur Ärger. Einige der besten Spieler wie der amtierende Fide-Champion Ruslan Ponomarjow (Ukraine), Viswanathan Anand (Indien), der Ungar Peter Leko oder Profi-Weltmeister Wladimir Kramnik treten in Libyen nicht an – vor allem, weil sie von der ersten der sieben Runden an hätten spielen müssen, Iljumschinow-Spezi Garri Kasparow (Russland) aber für das Finale gesetzt wurde.

Noch mehr als der sportliche Skandal erregte das Hickhack um die Teilnahme der Israelis die Gemüter. Erst sollten deren Qualifikanten, die alle der legendären sowjetischen Schachschule entstammen, in Malta ihre Partien austragen. Plötzlich berichtete aber Anfang Mai eine Jerusalemer Tageszeitung von einem diplomatischen Durchbruch: Gaddafi habe seine politische Richtung radikal geändert und lade alle Israelis nach Tripolis ein. Das Dementi ließ nicht lange auf sich warten. Der Sohn des Diktators, Mohammad, gleichzeitig Chef des libyschen WM-Organisationskomitees, unterstrich: „Wir haben und werden nie den zionistischen Feind zu dieser Weltmeisterschaft einladen. Wir geben unsere Prinzipien nicht auf, selbst wenn dies zur Absage des Turniers in Libyen führt.“ Unbeeindruckt vom Boykott verschiedener jüdischer Spieler verkündete Iljumschinow, am Fahrplan der Titelvereinigung bis Sommer 2005 festhalten zu wollen.

Nach vier Jahren der Stagnation steht nun wenigstens der WM-Zyklus, den einst Kasparow 1993 als amtierender Weltmeister durch seine Abspaltung von der Fide geschaffen hatte, vor dem Abschluss. Sein Bezwinger Kramnik trifft vom 25. September bis zum 18. Oktober auf Peter Leko. Das Match im Centro Dannemann in Brissago (Schweiz) ist mit einer Million Schweizer Franken dotiert, wie die Vereinigung der Profischachspieler (ACP) als Ausrichter gestern in Hamburg verkündete. Das Duell am Lago Maggiore geht über 14 Partien. Mit einem 7:7 würde Kramnik den Titel verteidigen.

„Leko ist der unangenehmste und schwerste Gegner, auf den ich treffen konnte. Momentan ist er für mich eine größere Herausforderung als Kasparow. Meine Chancen schätze ich auf 55 Prozent, nicht mehr“, erklärte der 28-jährige Moskauer. Der vier Jahre jüngere Leko zeigt sich äußerst selbstbewusst: „Kramnik ist ein starker, sehr starker Weltmeister. Aber ich habe die Fähigkeit, den Willen und das Spiel, ihn zu besiegen.“ Bis zu der vereinbarten Titelvereinigung mit der Fide ist es danach noch immer ein weiter Weg. Der Dortmunder Carsten Hensel, Manager von Kramnik wie Leko, hegt jedenfalls Zweifel daran, dass der Schach-Weltverband sein „internes Chaos beenden kann“.

HARTMUT METZ