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Archiv-Artikel

Sprengstoff für die EU-Verfassung

Kurz vor der Wiederaufnahme der Beratungen gibt es immer neue Ideen, wie der Konventsentwurf abgeändert werden soll. London beharrt auf Veto bei Steuerfragen, Madrid dagegen legt zum Abstimmungsmodus Kompromissvorschlag vor

AUS BRÜSSELDANIELA WEINGÄRTNER

Am Montag werden die Verhandlungen zur EU-Verfassung im Rahmen eines Außenministertreffens in Brüssel wieder aufgenommen. Der Wunschzettel, wie der Konventsentwurf abgeändert werden sollte, wird unterdessen immer länger – und die Positionen werden immer gegensätzlicher. So ziehen sich die britischen Verhandlungsführer darauf zurück, Tony Blair habe seinen Wählern ein Referendum zur Verfassung versprochen, der Text müsse also für britische Wähler akzeptabel sein.

Letzte Woche machte Schatzmeister Gordon Brown seinen Finanzministerkollegen klar, was das bedeutet: keine Mehrheitsentscheidungen in Steuerfragen, in Fragen der sozialen Sicherheit und bei der mehrjährigen finanziellen Vorausschau. Letzteres würde sogar bedeuten, dass die neue Verfassung in dieser Frage hinter den geschmähten Vertrag von Nizza zurückfällt, denn er sieht vor, dass die Finanzplanung ab 2013 mit qualifizierter Mehrheit beschlossen wird.

Die Position der EU-Kommission als Währungshüterin soll nicht wie geplant gestärkt werden. Das letzte Wort beim Defizitverfahren sollen weiterhin die Finanzminister behalten. Dem EU-Parlament werden, wenn sich die britische Linie durchsetzt, ebenfalls wieder die Flügel gestutzt: Es soll beim EU-Haushalt auch künftig nicht mitentscheiden. Ein engeres Zusammengehen will London auch in der Außen- und Verteidigungspolitik verhindern. In diesen Bereichen soll ebenso wie bei Innen- und Justizfragen weiterhin ein Land alle Gemeinschaftsbeschlüsse blockieren können.

Ganz andere Sorgen treiben die Regierung in Paris um. Nach der Bauchlandung bei den Regionalwahlen wollen die Konservativen in den Europawahlen die soziale Karte spielen; das kommt bei den Franzosen immer gut an. Die soziale Dimension soll – wie derzeit schon der Umweltschutz – in die Liste derjenigen Gemeinschaftspolitiken aufgenommen werden, die in alle Aktivitäten der Union einfließen. Diese Forderung wird die Briten ebenso wenig begeistern wie der Vorstoß der französischen Sozialisten, einen europäischen Mindestlohn und eine europaweite Wochenarbeitszeit von 35 Stunden in der Verfassung festzuschreiben.

Neben den unterschiedlichen politischen Grundpositionen – hier die sozial eingestellten französischen Konservativen, dort die neoliberale britische Labour-Regierung – gibt es zahlreiche Sonderwünsche, die ebenfalls in den Verhandlungen für Sprengstoff sorgen können. Die neue Regierung in Spanien hat ihre Vorbehalte gegen ein neues Verfahren für die qualifizierte Mehrheit aufgegeben. Allerdings ist noch immer umstritten, wie hoch die Schwelle liegen soll: Braucht es künftig 40 Prozent der EU-Bevölkerung, um eine Entscheidung zu blockieren, oder reichen 34 Prozent, wie von Spanien gefordert? Spanien will als Dreingabe für sein Entgegenkommen einen Sonderstatus für seine Regionalsprachen, die dem irischen Gälisch gleichgestellt werden sollen.

Neue Unterstützer sind inzwischen zu der Gruppe gestoßen, die einen Bezug auf das christlich-jüdische Erbe in die Präambel des Verfassungsvertrages aufnehmen will. Dafür hatte sich in der Vergangenheit neben Polen hauptsächlich die deutsche Christdemokratie eingesetzt. Jetzt protestieren auch die ungarischen Konservativen gegen eine laizistische Formulierung nach französischem Muster.

In einer anderen Glaubensfrage melden sich nun ausgerechnet die zurückhaltenden Iren zu Wort. Sie wollen die Gemeinschaftskompetenz auf grenzüberschreitende Gesundheitspolitik sowie den Kampf gegen Alkohol- und Zigarettenmissbrauch ausdehnen. Der irische Verbraucherkommissar David Byrne ärgert sich schon lange, dass ihm in diesen Fragen die Hände gebunden sind. Bei den Briten allerdings dürften derartige Vorschläge sämtliche Alarmglocken zum Klingeln bringen.

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