Kollege dpa und die Todesspirale

Die Krise hat die Quelle erreicht: Deutschlands wichtigste Nachrichtenagentur spricht von „leichten Rückgängen“, hat ihre Gewinne aber fast halbiert. Ihre Kunden proben derweil den Aufstand – und boykottieren den Dienst, der ihnen selbst gehört

von STEFFEN GRIMBERG

Wenn man Ulrich Reitz zuhört, könnte man meinen, man hätte den Chefredakteur einer großen überregionalen Zeitung vor sich. Oder zumindest eines Blattes vom Format des Berliner Tagesspiegel. Reitz spricht beim Kölner Medienforum von der „Autorenzeitung“, die er in den vergangene fünf Jahren aufgebaut habe, von „Qualität als Daueraufgabe“ und von der „journalistischen Todesspirale“, die den befällt, der es mit eben jener Daueraufgabe nicht so genau nimmt. Dabei geht es seinem Haus viel besser als den krisengeplagten Schwergewichten wie FAZ und Süddeutsche. Und erst recht dem nach eigenen Darstellung unverkäuflichen, von Millionendefiziten gepeinigten Tagesspiegel. Reitz ist nämlich Chefredakteur der Rheinischen Post.

Düsseldorfs Großblatt ist nun mit seiner konstanten Abo-Auflage von über 370.000 täglichen Exemplaren trotz Zeitungskrise nicht nur wirtschaftlich gesund. Als „Autorenzeitung“ steht das von seinen zahlreichen Gegnern liebvoll „Rheinische Pest“ gerufene einstige Zentralorgan des schwarzrheinischen Katholizismus auch an der Spitze der Bewegung zur Abbestellung der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Wer den „Agenturanteil von früher bis zu 80 Prozent“ herumgedreht habe und heute mit einem selbst recherchierten und geschriebenen „Autorenteil weit über zwei Drittel“ des Blattes fülle, so Reitz, könne doch wohl auf deren allseits als überteuert angesehenen dpa-Dienste verzichten. 2004, wenn der laufende Dreijahresvertrag ausläuft, ist Schluss. Rund eine Million Euro soll das sparen.

Seit Jahren wurde schon an der Preisgestaltung der mit weitem Abstand führenden deutschen Nachrichtenagentur– auch von der taz – herumgemeckert. Sie verkauft ihren Basisdienst mit täglich rund 800 Meldungen aus allen Ressorts von der Politik bis zum Sport. Kleinere Einheiten sind – anders als bei der Konkurrenz – nicht zu haben.

Zwar versucht nur die Chemnitzer Freie Presse schon heute ohne dpa-Ticker auszukommen. Doch dank Zeitungskrise hat sich das ansonsten nicht als besonders reaktionsschnell bekannte Verlegerlager immerhin zu deutlichen Drohgebärden aufgerafft: Zwölf Regionalzeitungen haben am vergangenen Mittwoch symbolisch auf die Agenturdienste verzichtet.

Die Situation ist so verfahren wie paradox: Da boykottieren Zeitungsverlage ein Unternehmen, von dem sie ganz überwiegend und in vielfältiger Weise abhängen. Und das ihnen sogar selbst gehört: Die Gesellschafterder mit Abstand führenden deutschen Agentur sind seit 1949 ein breiter Kreis von Regionalverlagen und Rundfunksendern (siehe Kasten). Bei manchen kleineren Blättern bestreitet Kollege dpa – vom Lokalteil und den Kommentaren abgesehen – fast die gesamte Berichterstattung.

Gestern musste der dpa-Basisdienst auch noch in eigener Sache ein mieses Geschäftsjahr 2002 vermelden: Umsatz und Gewinn sind zurückgegangen, für 2003 „wird die geschäftliche Entwicklung weniger positiv beurteilt“. Ob eine Beinahehalbierung des Gewinns auf knapp 3 Millionen Euro tatsächlich noch den Titel „leichte Rückgange“ (dpa über dpa) verdient, mag dahingestellt sein. Die Krise jedenfalls ist da.

dpa-Geschäftsführer Walter Richtberg verkündete seinen Mitarbeitern nach der Gesellschafterversammlung am Mittwoch, dass weiterhin „massivst gespart werden soll“. Das Geschäftsmodell der dpa stehe „auf dem Prüfstand“, eine weitere Gesellschafterrunde soll demnächst für Klarheit sorgen. Vor allem in den großen Auslandsbüros befürchtet der Betriebsrat nun Stellenstreichungen. „Um bis zu 30 Entlassungen abzuwenden, haben wir zwei Nullrunden für dieses und nächstes Jahr vereinbart“, sagt Betriebsratschef Reino Gevers zur Situation im Inland. Erstmals in der Geschichte der dpa werde auch keiner der über 20 Volontäre übernommen. Und dpa ist nicht allein: Bei ddp und dem deutschen Dienst von AFP verzichten Mitarbeiter sogar auf einen Teil ihres Lohns, um Entlassungen abzuwenden.

Kein Mitleid!

Mitleid hat offenbar keiner: „Jetzt schlägt der Markt gnadenlos zu“, sagt RP-Mann Reitz. Und auch wenn er auf dpa „als Back-up nur ungern verzichten würde“ meint Handelsblatt-Gerschäftsführer Thomas Brackvogel: „Es gibt keine patriotische Pflicht, eine deutsche Agentur am Leben zu halten.“ Diese Sicht ist berechtigt. Ebenso die Kritik an der starren Verkaufspolitik der dpa. Wie allerdings bei neuen, niedrigeren Kostenmodellen die gerade vom Kollegen dpa zu recht erwartete „Qualität als Daueraufgabe“ sichergestellt werden kann, müsste Ulrich Reitz doch noch mal genauer erklären. MITARBEIT: OH