Ausgang offen

Ein Radikaler? Ein Provokateur? Oder eher ein Feingeist? Mark-Anthony Turnage ist der „angry young man“ unter den britischen Komponisten. Sein Violakonzert „On Opened Ground“ dirigierte Kent Nagano in der Hamburger Musikhalle

Greek, eine im Umfeld von Rassismus und Arbeitslosigkeit angesiedelte Opernversion des Ödipus-Stoffes, war vor über zehn Jahren der Durchbruch des britischen „angry young man“ unter den Tonsetzern: Mark-Anthony Turnage. Er war von nun an eine feste Größe im internationalen Musikleben. Mit der Suite Blood on the Floor, dem Versuch einer Bewältigung des Drogentodes seines jüngeren Bruders durch Musik, befestigte sich Turnages Ruf als Komponist, der nicht nur effektsicher, sondern auch klanglich provozierend schreiben kann.

Seine im Januar 2000 in Hamburg uraufgeführten „Evening Songs“ zeigten ihn hingegen als einen Musiker der innigen Töne: kunstvoll instrumentierte Wiegenlieder, ins Orchestrale gesteigert. Man durfte also gespannt sein auf Turnages neues ViolaKonzert, das nun in der Hamburger Musikhalle mit dem NDR-Sinfonieorchester seine deutsche Erstaufführung erlebte. Man hatte mit Kent Nagano nicht nur einen sehr berühmten Dirigenten verpflichtet, sondern ihm mit Yuri Bashmet auch noch einen großen Solisten zur Seite gestellt.

Für Turnages Stück gilt des Komponisten eigene Charakterisierung seiner Musik als „introspektiv, aber manchmal aggressiv oder gar schockierend“ voll und ganz. Die ersten Töne des Stückes, eine von Bashmet zwingend gespielte Solokadenz, klingen rau, fast gewaltsam und aufbegehrend. Die Kadenz steigert sich in ihrer Bewegtheit, findet aber keinen Abschluss. Vielmehr gleitet der Bewegungsduktus der Violine über ins Orchester, das mit einem huschigen Scherzo ins Geschehen eingreift.

Ein weit ausschwingender, in sich selbst ruhender Gesang von Viola und Orchesterinstrumenten bestimmt den zweiten Satz, bevor die Blechbläser mit brutalen Attacken dazwischengehen und das Stück schließlich mit den weicheren Klängen eines immer mehr in sich zusammenfallenden und verstummenden Variationenteils endet. Noch Sekunden danach bleibt offen, ob mit den letzten Tönen wirklich das Ende erreicht ist oder ob nicht gleich noch einmal die Emotionen hochkochen – ein Stück von beeindruckender Dichte in einer Interpretation, die nie das Spektakuläre sucht, sondern immer den inneren Strukturen dieser Musik nachspürt.

Ähnliche Qualitäten zeigte die Aufführung von Arnold Schönbergs spätromantisch-expressivem Friede auf Erden. In Richard Straussens berühmtem „Also sprach Zarathustra“ dagegen versuchte Nagano Hochspannung und dionysische Klangorgie miteinander zu verbinden, was nur bedingt gelang. Der große Spannungsbogen löste sich auf, auch die Balance innerhalb des Orchesters stimmte nicht immer. Aber das ist heute bei dem Konzert in Lübeck vielleicht schon wieder anders. Reinald Hanke

weiteres Konzert: heute, 19.30 Uhr, Musik-und Kongresshalle Lübeck