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Archiv-Artikel

Von Gustav Adolf bis zu Lara Croft

taz-serie „Polen in einem Tag“ (Teil 10): Chojna, die Stadt, die einen ehrwürdigen Namen trug, rappelt sich langsam wieder auf. Hier lockt keine Avantgarde. Eher Blicke in die Geschichte zwischen Schwedenkrieg und Kaltem Krieg

Freunde und Feinde militärischer Überreste des sowjetischen Imperiums kommen in Chojna auf ihre Kosten. Doch dazu später.

Die Stadt, die auch einmal Königsberg hieß, ist gar nicht so klein. Siebentausend Einwohner leben in Chojna, das sich in der Woiwodschaft Westpommern, etwa 60 Kilometer südlich von Stettin befindet.

Im 10. Jahrhundert gehörte der Ort zum polnischen Königreich und war wirtschaftlich so erfolgreich, dass er im Jahre 1200 das Stadtrecht erhielt. Kein Wunder, dass sich auch die Markgrafen von Brandenburg für diesen prosperierenden Marktflecken interessierten. Wohl deshalb überrannten sie 1270 die Stadt und gaben ihr den Namen Königsberg in der Neumark. Dort gründeten sie den Verwaltungssitz für die brandenburgische Neumark. Später, zwischen 1402 und 1454, regierte in Chojna der Deutschritterorden, der der Stadt die für die Region architektonisch herausragende St. Marienkirche hinterließ. Der gotische Backsteinbau brannte allerdings im Februar 1945 aus – eine Folge der Eroberung Chojnas durch die Rote Armee. Die war wenig zimperlich mit dem städtebaulichen Erbe umgegangen, sodass 80 Prozent der gesamten Stadtbebauung beim Eroberungskampf gegen die deutsche Armee zerstört wurde.

Chojna hat viel gelitten, „dennoch sollte man seinen Ausflug unbedingt in der Altstadt beginnen“, rät Robert Ryss, der seit über zwanzig Jahren in Chojna wohnt und als Chef der lokalen Zeitung Gazeta Chojenska zu den besten Stadtkennern gehört.

Die hatten genug Zeit mitzuerleben, wie die Stadt wieder aufgebaut wurde. 45 Jahre warteten die Chojnaer, bis die St. Marienkirche wieder hergerichtet wurde. Dies geschah schließlich, weil die einstigen Chojnaer, Deutsche, die 1945 flohen, offenbar nicht vergessen hatten, wie schön das Gotteshaus einmal gewesen war. Dank einer Initiative und Geld der Deutsch-Polnischen Stiftung bekam die Kirche kürzlich ihr Dach und ihren Turm zurück. Gerade sind Restauratoren dabei, auch das Kirchenschiff zu rekonstruieren.

Nebenan steht das alte Rathaus, in dem sich heute das Kulturzentrum Chojnas befindet. Richtung Westen entdeckt man die Überreste der mittelalterlichen Stadtmauer mit ihren zwei Stadttoren, dem Schwedter Tor und dem Barnikower Tor. Außerhalb der Stadtmauer stößt der Flaneur auf die St.-Gertruden-Kapelle, malerisch von alten Bäume umschlossen, in überraschender Nachbarschaft zum Kriegerdenkmal des sowjetischen Soldaten.

„Die Sowjets blieben bei uns ein bisschen länger als wir erwarteten“, lacht Robert Ryss. „Bis 1990 war in Chojna die sowjetische Militärluftfahrt stationiert.“ Auf dem von der Armee verlassenen Flughafen, zwei Kilometer vom Zentrum der Stadt entfernt, (Richtung Cedynia und Schwedt), entstand nach dem Abmarsch der Truppen ein neuer Stadtbezirk. Heutzutage wohnen in den ehemaligen Kasernen der sowjetischen Piloten rund 1.500 Menschen, womit Chojna zu den wenigen polnischen Städten ohne Wohnungsnot avancierte. „Das ist ein selbstständiger Bezirk, es gibt eine Schule und einen Kindergarten, viele Geschäfte und sogar eine Kirche“, erzählt Ryss. Statt eines Lenin-Denkmals gibt es dort jetzt eine Marienfigur! Unbedingtes Muss und seltene Gelegenheit: Ein Fahrrad-Sprint auf dem nahe gelegenen Airstrip des alten Militärflughafens! Die über fünf Kilometer lange Strecke verspricht Erfahrungen, denn zwischen den verlassenen Flugzeughangars und düsteren Bunkern fühlt man sich wie Lara Croft in einem Computer-Kriegsspiel.

Zwei Kilometer weiter, Richtung Krajnik, entdeckt man einen Steinhügel, den die dankbaren Einwohner der Gegend für den schwedischen König Gustaf Adolf bauten. „Er rettete uns aus der schwersten Not des 30-jährigen Krieges“ – steht auf einem der Steine.

Chojna erreicht man mit dem Zug aus Kostrzyn oder Szczecin.

IZABELA JOPKIEWICZ