„Das Bein gedanklich rufen“

Die an Multiple Sklerose erkrankte Sonja Wierk hat ihren eigenen Weg gefunden, die Krankheit zu bekämpfen. Mit ihrem Buch und ihrer Therapie versucht sie anderen Mensch zu helfen

Wer sich kaum noch bewegen kann, braucht zuerst ein positives Gefühl für die Bewegung

bremen taz ■ Ständig umknickende Füße, Rückenschmerzen oder Verspannungen quälen viele Menschen und schränken die Lebensfreude ein. Ähnlich erging es dem israelischen Kernphysiker Dr. Mosche Feldenkrais (1904 bis 1984). Mit Mitte Dreißig verursachte ein altes Fußballerleiden ihm starke Kniebeschwerden, weil aber die Erfolgsprognose für eine Knieoperation sehr schlecht war, beschloss der begeisterte Fußballspieler und Judolehrer sich selbst zu helfen – und begann, seine Körperbewegungen zu studieren. Dabei verfeinerte er systematisch sein Bewegungsempfinden und lernte dadurch, effizient und ohne Schmerzen zu gehen. Die daraus entstandene, wissenschaftlich dokumentierte und nach ihm benannte Bewegungsmethode ist seit Mitte der 1970er Jahre international anerkannt. Feldenkrais-Therapien werden auch in Deutschland angeboten. Viele Kranke schwören darauf.

Die Bremerhavenerin Sonja Wierk gehörte zu ihnen. Als sie 1985 von der Feldenkrais-Methode hörte, litt sie bereits seit 24 Jahren an Mulipler Sklerose (MS). Die chronisch entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems hatte bei ihr da schon zu weitgehender Bewegungsunfähigkeit geführt. Auch sprechen konnte sie kaum noch. „Damals habe ich gedacht: Vielleicht ist das eine Möglichkeit“, berichtet Wierk heute. Die deutliche Verbesserung ihres Gesundheitszustands führt die heute 78-Jährige auf ihr hartnäckiges Training nach Feldenkrais zurück. Schon gleich nach dem ersten Trainig habe sie einen kleinen Erfolg gespürt. Mittlerweile hat sie die Feldenkrais-Methode für MS-Kranke abgeändert und zur „SoWi-Therapie“ weiterentwickelt. „Feldenkrais ging ja davon aus, dass der Kranke noch bewegungsfähig ist. Ich setzte das nicht voraus.“

„Ich muss erst denken, dass mir das Bein gehört und es dann gedanklich rufen“, erklärt Wierk ihren Ansatz. Zuerst müsse wieder ein positives Gefühl für den Körper und die Bewegung entstehen, bevor die Bewegung ausgeführt werden könne. Sonja Wierk kann sich mittlerweile wieder frei bewegen. Ihre Sowi-Therapie (www.sowi-therapie.de) steht dabei für Sonne und Wind, aber auch für Soziales und Wissen. Über ihre Selbsttherapie hat sie zusammen mit der ebenfalls an MS erkrankten Barbara Zaruba das Buch „Dem Leben wiedergegeben“ geschrieben. Und: trotz ihres Alters und ihrer Erkrankung hält Wierk bundesweit Seminare ab. „Mir ist es wichtig, die geistige Komponente der Therapie zu betonen, die positive Einstellung zum Körper“, sagt sie. „Auch die Folgen meines Schlaganfalls im Januar konnte ich selbst behandeln“, erzählt die Bremerhavenerin. Zugleich räumt sie ein, dass sie kein Allheilmittel erfunden hat, das allen Erfolg versprechen kann.

Das bestätigt die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (www.dmsg.de). Dort hält man Entspannungs- und Bewegungstherapien grundsätzlich für hilfreich. Doch trete die bis heute unheilbare MS in Schüben auf und verlaufe sehr unterschiedlich. So reagierten Kranke auch auf Bewegungstrainings sehr verschieden. Auch Entspannungsübungen seien nicht für jeden MS-Kranken geeignet, erklärt Christiane Werner von der Landesgruppe Bremen. Die DMSG bietet deshalb Schnuppertage zu verschiedenen Entspannungs- und Bewegungstrainings an. Auch zu Feldenkrais. stk