: In Plastikgewittern
Wer lässt sich freiwillig für maximal 5,42 drei Wochen lang in der Oberpfalz von der Außenwelt isolieren? Offenbar genug: In Bremen rekrutierte die Münchner SST GmbH Statisten fürs Irak-Kriegstraining der US-Army. Die taz nord war dabei, ist sich aber noch nicht ganz sicher, ob sie mitspielt
VON DER HEIMATFRONT BENNO SCHIRRMEISTER
Gestern war ich im Irakkrieg, das heißt: Ich habe ein bisschen reingeschnuppert, und ganz sicher bin ich mir auch noch nicht, ob das für mich passt, weil: Im Grunde ist man ja dagegen, wie fast alle in Deutschland. Aber schließlich wollen die ja nur spielen, mit Plastiksprengkörpern und Holzgewehren – allem, was man so braucht auf der Suche nach Massenvernichtungswaffen. Es gibt Geld, je nach Rolle 90 bis 130 Euro pro Tag, wenn auch leider nur brutto.
Außerdem ist das Ganze völlig ungefährlich, hat Bernd Ludwig gesagt, der so in etwa die Rolle des Führungsoffiziers gibt, an diesem Morgen beim Casting in einem mittelprächtigen Bremer Hotel, „da gilt überall safety first“, hat er wiederholt, und: „Es hat noch nie einen Unfall gegeben, außer beim Sport.“ Und der ist deshalb verboten bei den Rotations der US-Armee in der Oberpfalz. Fußball ist eben doch gewalttätiger als Krieg.
Der Tagungsraum, in dem meine Militärkarriere beginnt, heißt „Hamburg“, was ich passend finde, weil ich da Zivildienst gemacht habe. „Mit Tischen schaffen wir bis zu 200“, so die Auskunft des Hotelmanagements. Ohne hätten zwar 280 bis 300 Personen in Hamburg Platz gefunden, aber die Tische werden benötigt, weil das Casting eine schriftliche Sprach-Prüfung beinhaltet, die darüber mitentscheidet, ob man die Reise an die Front östlich von Hohenfels als irakischer Dorfpolizeichef beziehungsweise -bürgermeister (110 Euro) oder als traumatisierter Ziegenhirt (90 Euro) antritt. Privilegiert sind Menschen arabischer Herkunft. Die haben Aussicht auf den maximalen Stundenlohn von 5,42 Euro. Manche Freiwillige werden noch vor Beginn weggeschickt, ohne besonders terroristisch auszusehen. Höflich, aber bestimmt verweigert ihnen ein Türsteher den Zugang: „Da blockieren schon Leute die Rettungswege“, sagt er, „tut mir leid“.
Zum Trost bietet er die Ausweichtermine 14 und 18 Uhr an, und wer auch dann nicht kann, erhält ein Firmen-Visitenkärtchen. Schließlich macht die Münchener „Supply und Service Team GmbH“ so etwas nicht zum ersten Mal: In Berlin, so Führungsoffizier Ludwig, sei der Andrang sogar noch viel größer gewesen. Der Volkssturm aus Frührentnern, Langzeitarbeitslosen, jobsuchenden Studis und Antikriegsdemo-Veteranen lauscht aufmerksam wie eine überbesetzte Grundschulklasse seinen Ausführungen. Es sind auch ältere Ehepaare dabei. Sie alle sind dem Ruf einer Anzeige in ihrer Lokalzeitung gefolgt, die versehentlich für Samstag geladen hatte, „nicht durch unsere Schuld“, wie Ludwig hervorhebt, während er sich dafür trotzdem entschuldigt. Vor allem bei denen, die schon zum zweiten Mal angereist sind.
Überhaupt macht Ludwig den Eindruck, dass wir Rekruten ihm nicht egal sind. Die Opulenz der Verpflegung macht er durch den Hinweis anschaulich, dass sehr viel immer weggeworfen werde. Er beschönigt nicht, dass es sich bei den drei Wochen Oberpfalz um einen 24-Stunden-Bereitschaftsdienst handelt, unter Bedingung einer Kontaktsperre – also Laptop-Verbot, Kameraverbot, Telefonverbot. Briefe empfangen und verschicken ist dagegen erlaubt. Ludwig denkt aber auch an unser Seelenheil: Wer während seines Vortrags merke, dass ihm die ganze Sache zu weit geht und mit dem eigenen Wertesystem kollidiert, der solle doch bitteschön den Saal verlassen, und zwar leise und „so, wie es sich für zivilisierte Bürger geziemt“.
Ein folgenloser Aufruf: Nur als er erwähnt, dass im polizeilichen Führungszeugnis nichts anderes stehen dürfe als „kein Eintrag“ machen sich einige Jungmänner vom Acker. Dabei ist das nur die Schwelle zur ersten Hürde: Wer Krieg spielen will, muss den US-Sicherheitsbehörden einen „simple security Check“ erlauben. Der dauert acht Wochen. Und schon der zu diesem Zweck ausgeteilte „simple questionnaire“ umfasst zwölf Seiten mit Fragen zum Einkommen, zum Lebenspartner, zur Kontonummer, zu Auslandsreisen und zu den bisherigen Geheimdienstkontakten. „Der Ideenreichtum fremder Nachrichtendienste bei der Anwerbung von Zielpersonen ist beachtlich“, heißt es in den Erläuterungen. Er reiche „von getarnten Stellenangeboten in Zeitungen“ bis zu „Erpressungsversuchen“.
Die Supply und Service Team GmbH, die auch in Wolfsburg und Hannover rekrutiert, ist hingegen ein seriöses Unternehmen, wenn auch mit nur 25.000 Euro Stammkapital aufs Pfennigfuchsen angewiesen: Nach Ausfüllen des Sprachtests werden zum Beispiel die Kugelschreiber eingesammelt. Die Grenzen des zivilisierten Umgangs überschreitet dabei indes niemand: Dass ich meinen eigenen dabei hatte, wird mir, obzwar stirnrunzelnd, ganz ohne Visitation geglaubt. Die SST GmbH steht im Münchener Handelsregister. Gegenstand des Unternehmens ist die „Erbringung von Infrastruktur-, Personal- und Catering-Dienstleistungen im Event-, militärischen und sonstigen Sektor“. Gründer und Geschäftsführer war früher ein gewisser Bernd Specker. Der hat dem Focus mal ein Mini-Interview gegeben. Seit Februar 2008 leitet der 35-jährige Okan Tombulca das Unternehmen und sagt, „ich darf nichts zu den Castings sagen“, geschweige denn zu einer – der Name ist kurdisch – denkbaren persönlichen Motivation. In der Branche hat sich Tombulca als Chef der EPS GmbH einen Namen gemacht: Die war zuständig für das Stage-System der olympischen Winterspiele 2006 und die Papst-Bühne des katholischen Weltjugendtags 2005 in Köln. Zuletzt hat sie in Europa und Australien die „World Stadium Tour“ von André Rieu betreut: André Rieu und der Krieg – das war mir schon immer vereinbar erschienen. Nun weiß ich: Es stecken sogar dieselben Personen dahinter.