: Brauchen wir „Grüne Gentechnik“?
JA
Es ist doch Unsinn, anzunehmen, heutige Kulturpflanzen wie Mais oder Weizen seien noch natürlich. Grüne Gentechnik kann einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigen Landwirtschaft leisten. Sie vermeidet Pestizide und schont die Böden
Vor acht Jahren stand der Papaya-Anbau auf Hawaii vor dem Aus. Eine Virusinfektion hatte die Ernte um 90 Prozent reduziert, herkömmliche Zuchtmethoden waren wirkungslos. Mit Hilfe der Gentechnik gelang es dann, rechtzeitig eine Virusresistenz zu züchten. Der Papayaanbau in Hawai wurde gerettet.
Das Beispiel zeigt: Die grüne Gentechnik kann einen wichtigen Beitrag leisten zu einer nachhaltigen Landwirtschaft. Sie hilft, die Belastung der Äcker durch Pestizide zu verhindern, und vergrößert so die Artenvielfalt. Sie entlastet die Böden und vermindert Erosion, weil beim Anbau von Genpflanzen weniger gepflügt werden muss. Und die Risiken der grünen Gentechnik sind weit geringer als dargestellt: Bisher ist noch keine der angeblichen Gefahren für Gesundheit und Umwelt Wirklichkeit geworden. Viele Gentechnik-Gegner kolportieren stur immer noch die alten Risiken, die längst untersucht sind und nicht mehr gelten.
Landwirtschaft stellt immer einen massiven Eingriff ins Ökosystem dar. Doch es ist Unsinn, anzunehmen, die heutigen Kulturpflanzen wie Mais oder Weizen seien noch natürlich. Mais ist verglichen mit seinen Vorfahren ein Monster. Weizen ist ein Konglomerat aus verschiedenen Gräserarten, ergänzt mit Chromosomenbruchstücken weiterer Arten, ein Sammelsurium, das so nie entstanden wäre. Sämtliche Hartweizensorten für Teigwaren sind entstanden durch Strahlenmutationszucht.
Im Gegensatz dazu ist gentechnische Pflanzenzucht weitaus präziser. Wir wissen heute viel besser, was wir tun. Die Messgenauigkeit hat drastisch zugenommen. Die heutigen Pflanzen auf dem Acker haben zehn Jahre Entwicklungszeit und strenge Kontrollen hinter sich. Das ist eine ganz andere Qualität als in früheren Zeiten, wo man bei der Pflanzenzucht Blindekuh spielte.
Die Gentechnik ist ein wichtiges Hilfsmittel, aber nur eine Methode unter vielen bei der Pflanzenzucht. Der entscheidende Aspekt ist unser vertieftes Verständnis für die Vorgänge in der Pflanze. Die transgenen Sorten unterscheiden sich von den traditionellen Pflanzen nur in wenigen Genen, deren Wirkung man testen kann. Die jahrelangen Erfahrungen zeigen, dass die ökologischen Folgen der genmanipulierten Pflanzen nicht über jene traditioneller Sorten hinausgehen. So zeigen inzwischen viele Studien, dass die Meldungen nicht haltbar sind, die großflächige Einführung von Bt-Mais in Mexiko und den USA habe den Monarchfalter geschädigt. Im Gegenteil: Dessen Bestand hat zugenommen, und die wirkliche Bedrohung für diese Art ist die Rodung von Wäldern in seinen Überwinterungsstätten im tropischen Mexiko und das Verschwinden seiner Futtergrundlage.
Die Gentech-Sorten, die momentan auf dem Markt sind, bringen den Bauern in der EU praktisch keine Vorteile. Der Schädling Maiszünsler und Unkräuter im Mais- oder Rapsanbau bedeuten in höheren Lagen keine dramatischen Probleme, wohl hingegen in tiefen Lagen, wo zum Beispiel der Maiszünsler – ein unscheinbarer Schmetterling – mehrere Generationen entwickelt. Dagegen könnten Zuckerrüben und Kartoffeln, die gegen Herbizide beziehungsweise Pilzbefall resistent sind, den Landwirten bald größere Erträge bei geringeren Kosten bringen.
Vor allem überzeugt mich, dass es weltweit oft Bauern sind, die gentechnisch veränderte Pflanzen einsetzen wollen. Besonders in vielen Entwicklungsländern ist die Haltung gegenüber transgenen Pflanzen viel positiver als bei uns. Länder wie China und Indien setzen auf Bt-Baumwolle, die gegen Schädlinge resistent ist. Gerade ärmere Regionen profitieren aus gesundheitlicher, finanzieller und ökologischer Sicht vom Anbau gentechnisch veränderter Sorten. Entsprechende gegenteilige Meldungen von Greenpeace bauen auf falsch zitierten chinesischen Studien auf, gegen die sich deren Autoren verwahren.
Die Beeinträchtigung der Umwelt über ein Auskreuzen von Genpflanzen ist zum Beispiel bei Kartoffeln oder Zuckerrüben kein Problem, weil sich diese Arten über Knollen vermehren und keine Pollen bilden. Bei Raps oder Mais, deren Pollen sehr weit fliegen können, ist eine saubere Trennung in der Tat problematisch. Hier werden bereits pollensterile Sorten entwickelt, die eine Auskreuzung verhindern. Solange diese Sorten nicht auf dem Markt sind, ist die Koexistenz von Gentech-Pflanzen einerseits und konventioneller oder Bio-Landwirtschaft andererseits in Gegenden mit kleinräumiger Agrarstruktur wie in der Schweiz, Österreich oder Süddeutschland allerdings in Frage gestellt und bräuchte ein neues Management.
Die Gentech-Kritiker wollen nicht zur Kenntnis nehmen, dass es in der Sicherheitsforschung massive Fortschritte gegeben hat. Deshalb ist das Ende des De-facto-Moratoriums in der EU ein gutes Signal. Dieses Moratorium hatte nie eine wissenschaftliche Grundlage. Damit endet endlich die Stigmatisierung eines Forschungsbereichs, in dem wir schon zu viel Know-how verloren haben und in dem unseren Bauern schon zu viele Optionen verbaut wurden.
KLAUS AMMANN
NEIN
Der Streit illustriert den Verlust unserer gesellschaftlichen Urteilsfähigkeit gegenüber organisierten Seilschaften aus Industrie, Forschung und PR. Dabei steht die Landwirtschaft vor wichtigeren Aufgaben: dem Klimawandel beispielsweise
Milliarden wurden investiert, das Blaue vom Himmel versprochen, Revolutionen verkündet. Jetzt streiten wir uns über die Zulassung einiger Gentech-Maissorten und über ein paar Mais- und Raps- und Rübensorten. Die ganze Hoffnung der Branche ruht derzeit auf dem Maiswurzelbohrer – einem Käfer –, der nun an deutschen Grenzen steht und gegen den ein neuer Bt-Mais von Monsanto helfen soll.
Damit könnte man die Frage, ob wir die „Grüne Gentechnik“ in Europa brauchen, eigentlich zu den Akten legen, die Verluste abschreiben, die Verantwortlichen entlassen und sich den wichtigen Herausforderungen, vor denen die Landwirtschaft und Agrarforschung steht, zuwenden: dem Klimawandel, dem noch immer ansteigenden Verbrauch von Agrargiften, dem Erhalt der Bodenfruchtbarkeit, der wilden wie kultivierten Artenvielfalt – kurz, der Entwicklung nachhaltiger Anbaumethoden. Noch immer ist die Landwirtschaft der Umweltvergifter und Biotopvernichter Nummer eins in Europa und in der Welt.
Doch der Streit um die „Grüne Gentechnik“ ist vielschichtiger. Unsere kollektive Unfähigkeit zur aufgeklärten, ehrlichen und kritischen Diskussion ist ein wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und politischer Albtraum. Er illustriert die Unwissenheit unserer „Wissensgesellschaft“ und den Verlust unserer gesellschaftlichen Urteilsfähigkeit gegenüber organisierten Technologie-Seilschaften aus Industrie, Forschung und PR.
Natürlich hat die Molekularbiologie in den vergangenen Jahrzehnten Quantensprünge vollbracht. Doch leider führte das exponentielle Anschwellen der DNA-Datenbanken bisher eher zu Informationsoverkill der beteiligten Wissenschaftler und Techniker. Sie haben sich in Details verheddert und, nicht zuletzt durch systematische Austrocknung anderer Disziplinen der Biologie, Ökologie und Agrarforschung, schlichtweg den Überblick verloren. „Inseln spezialisierter Exzellenz in einem Meer von Ignoranz“ nannte ein Gentechniker der ersten Stunde diesen Aggregatzustand der Molkularbiologie. Jüngere Kollegen, deren Karriere daran hängt, möglichst schnell möglichst viele Details aus dem Mega-Daten-Anfall zu publizieren und patentieren, erlauben sich derart häretische Bemerkungen nicht mehr.
Ist es wirklich fortschrittsweisend, dass die Chemiegiganten Monsanto, Bayer, Syngenta, BASF, Du Pont und Dow heute den Weltmarkt kommerzieller Saatgutproduktion kontrollieren und wissenschaftlich oft haltlose, juristisch aber schwer angreifbare Patente auf Gene und Pflanzen scheffeln und bei dieser Gelegenheit die Vielfalt der verfügbaren Sorten drastisch reduzieren? Monsantos frühe Vision, zum Microsoft der Gentechnik zu werden, scheint heute Realität: 90 Prozent aller genveränderten Organismen auf dem Markt beruhen auf den Patenten dieses Unternehmens. Gesucht werden „blockbuster“, wie das RoundupReady©-System von Pflanzen, die dem weltweit meistverkauften Pestizid „Roundup“ widerstehen und so gleichzeitig der Chemie- und Gentechnik-Sparte Milliarden einspielen. 40 Millionen Hektar sind heute „RoundupReady©“. Der Traum der Agrarforschung von solchen „Viagras“ schafft Wüsten vernachlässigter und zunehmend mit Patenten verminter Forschungsbereiche. Er taugt weder zur Ernährung der Welt noch zur Erhaltung der Vielfalt oder von Arbeitsplätzen auf dem Lande.
Die Sucht nach betriebswirtschaftlich verwertbaren Produkten unterdrückt die Suche nach einfachen und effektiven Methoden einer besseren Landwirtschaft. Statt eines Know-how-Transfers ist das industrielle Ideal ein Paket von Saatgut, chemischen Zutaten und Maschinen, bei dem die Bauern nur noch die Gebrauchsanweisung befolgen und nichts mehr verstehen müssen oder gar dürfen.
Bleibt schließlich das Risiko der Gentechnik, das unbekannte Wesen. Ein kürzlich von Le Monde gewährter, seltener Einblick in die Fahrlässigkeit bei der Abschätzung selbst einfacher Gesundheitsrisiken in den wissenschaftlichen Gremien Europas lässt auch abgebrühte Kritiker erschauern. Auch die völlige Abhängigkeit der Wissenschaftler von den Daten und Versuchen der Industrie ist alarmierend. Das Geschäft der Risikobewertung ist fest in den Händen einer relativ kleinen Gruppe europäischer Gentechnik-Experten, denen es vor allem an Umweltkompetenz mangelt.
Die „Grüne Gentechnik“-Schneider sollten in ihren Laboren und vor allem im interdisziplinären Austausch erst einmal soliden Durchblick und tatsächliches Verständnis und solcherart auch echten Nutzen produzieren. So lange kommt uns der Schiet nicht auf den Acker und den Teller. BENEDIKT HÄRLIN