Dem Design entronnen

Eigenwillig mit Erfolg: Mit Ralf Tekaat erhält einer der kompromisslosesten Jung-Künstler Bremens den diesjährigen Förderpreis. Seine Arbeit überzeuge vor allem durch ihre Gegenwartsrelevanz, begründen die Juroren ihr einstimmiges Votum

„Wichtig ist, die Zeichnungen stumpf aufs Blatt zu setzen.“

„Also telefonieren ist nicht so sein Ding“, sagen Ralf Tekaats Mitbewohner. Der ist Künstler, lebt in einer WG im Viertel, sein Atelier hat er direkt an der Weser, auf der Neustadtseite. „Ganz oben“, rauscht es durch die Sprechanlage. Am Samstag wird Ralf Tekaat der Bremer Öffentlichkeit vorgestellt. Dann nämlich überreicht ihm der scheidende Kultursenator Kuno Böse den „Bremer Förderpreis für Bildende Kunst 2002“und das Preisgeld in Höhe von 5.500 Euro. Und der 32-Jährige wird einige Worte des Dankes sagen müssen: Eine schwierige Übung. Denn dass der ein eher ruhiger Typ ist, ist keine Übertreibung.

Das Atelier ist ein langer Schlauch, vielleicht zehn mal sechs, vielleicht elf Mal sechs Meter. Die Wände mit Rauhfasertapete, weiß, auf der rechten Seite eine Reihe Fenster und Stützbalken vom Dach. Auf der linken Seite ist über die ganze Länge des Raumes eine Kordel befestigt, eher lasch als gespannt. An ihr hängen, von hölzernenWäschklammern gehalten, großformatige Bögen weißen Papiers. Mitten drauf: gezeichnete Formen dunkel per Grafit schraffiert. „Wichtig ist, die Zeichnungen stumpf aufs Blatt zu setzen.“ Die braune Augen scheinen zu lächeln. „Ohne Komposition oder besondere Gestaltung.“ Eine ungewöhnliche Aussage für einen diplomierten Designer. Für ihn sei aber schon während des Studiums in Münster „relativ schnell klar gewesen, wohin die Reise geht“ – nämlich in Richtung freie Kunst. Suspekt war ihm gerade das Bemühen, „schöne Bilder zu machen und das Blatt auszufüllen“. Zugleich betonen die Weißflächen rund um die schwarzen Formen die Illusion von Volumen: Stellenweise scheinen die Zeichnungen aus der Fläche zu treten, um dann wieder, ein paar Zentimeter weiter, in die Zweidimensionalität zurück zu fallen.

Sind das Gegenstände? Wenn ja, bleibt doch ihre Bestimmung unklar. Und die pointiert-zweideutigen Titel tun nichts dazu, diese Unklarheit aufzulösen: „Aufklärer“ hatte Tekaat eine Serie dieser strengen Arbeiten genannt, die im vergangenen Herbst in der Jahresausstellung des Berufsverbandes Bildender Künstler zu sehen waren. Und unter dem Titel „Deschraffiermaschine“ firmieren die großformatigen Zeichnungen, die derzeit in der Galerie im Park hängen: Wie ein Resonanzraum verstärken sie die Fantasien, die der Betrachter unwillkürlich an die Apparaturen der Ausstellung „Der Medizinschrank“ knüpfen. Im Bunker, wo das Zentralkrankenhaus Ost ausgedientes Material lagert, habe er sich dafür Anregung geholt. „Ich war zwei, drei Tage dort.“ Tekaat sitzt, die Beine über Kreuz, im Drehstuhl, die schmalen Hände massieren den Nacken. Mit Fotos und Skizzen ist er dann zurück ins Atelier, hat sich Details ausgesucht, neue Formen entwickelt. „Am liebsten“, sagt der Meisterschüler von Paco Knöller, „arbeite ich am Tisch“.

In einer Ecke des Raums hängt eine Dartscheibe, auf einer Arbeitsplatte am Rand steht eine Stereoanlage, CDs in Kartons, querbeet: Johnny Cash, Eminem, Etienne de Crécy, Iggy & the Stooges. Hier und da sind Zettelchen angepinnt. „Demodulator“, steht auf einem, dort hängt ein Ausriss aus einer Landkarte: USA, Ostküste. In New York ist „Auf der Suche nach Thomas R. Pynchon“ entstanden. Überraschung: Das prämierte Werk ist eine Installation: Kopierte Buchseiten, Zettel mit Notizen in einer kleinen, schnellen Handschrift, und Fotos, die, schnoddrig mit Tesafilm und doch klug durchdacht an die Wände der Städtischen Galerie geklebt sind: Dokumente einer Suche nach dem geheimnisumwobenen Autor von „Gravitys Rainbow“, der sich seit 40 Jahren verborgen hält. Dokumente – und Fiktionen: die Suche wird, selbstironisch, zur fixen Idee stilisiert. Wie die unbestimmten Gegenstände aus Grafit umspielt sie die Schwelle zwischen Wirklichkeit und freier Erfindung. Ein starker Bruch im Genre, und doch: Thematische Kontinuität. „Am Werk ist eine inhaltliche Bedeutung ablesbar“, lobt Veit Görner. Der Leiter der Hannoveraner Kestner-Gesellschaft war Mitglied der vierköpfigen Jury, die einstimmig für Tekaat votierte. „Handwerkliches Können hatten auch andere Bewerber“. Entscheidend sei „die große Gegenwartsrelevanz gewesen“.

Benno Schirrmeister

Vernissage und Festakt: Samstag, Städtische Galerie, 19 Uhr