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Archiv-Artikel

Kevin allein im Frauenhaus

Wo Geschlechterkampf noch Krieg ist und trotzdem rockt: Die Neuberlinerin Kevin Blechdom mischt heute das Maria auf – mit Fun-Sex, Feminismus und Elektropop. Dabei greift sie auf Vorbilder wie die Porno-Performerin Annie Sprinkle zurück und klärt die alles entscheidende Frage: Bin ich mir peinlich?

von IRENE HUMMEL

Feminismus. Ein Begriff mit ranzigem Beigeschmack, seltsam angestaubt und antiquiert. Umso erstaunlicher, ihn aus dem Mund der erst 25-jährigen Elektronik-Produzentin Kevin Blechdom zu hören, die sich „absolut und hundertprozentig als Feministin“ bezeichnet und keine Sekunde zögert, ihre Wahrnehmung des Geschlechterkampfes auf einen einfachen, expliziten Nenner zu bringen. „Für mich ist es Krieg“, sagt Kevin Blechdom, gebürtig Kristin Erickson.

Zu Beginn ihrer Karriere wollte die Amerikanerin ihre Identität völlig geheim halten. Kevin und ihre damalige Kollegin Bevin versteckten sich hinter der Projektbezeichnung „Blectrum from Blechdom“, gaben keine Interviews und rückten keine Promofotos heraus. Das fanden sie einerseits sehr lustig, andererseits sahen sie auch die politische Seite dieser Spielerei. Dennder gemeine Musikkritiker, so hat Kevin Blechdom festgestellt, beurteilt weibliche Musikproduzenten immer noch nach anderen Maßstäben als ihre männlichen Kollegen. „Meine Musik wird oft nur mit Musik von anderen Frauen verglichen. Mir kommt das dann immer so vor, als würde man zum Beispiel nur die Musik von Leuten mit braunen Haaren miteinander vergleichen. Das ist total frustrierend! Okay, ich mache Musik und vor allem die Texte von meiner Identität als Frau ausgehend, aber das ist doch nur der Hintergrund.“

Trotzdem gibt sie zu, dass Frauen ihre feministisch angehauchten Texte besser verstünden, wogegen das männliche Publikum oft verwirrt bis aggressiv reagiere.

Nicht, dass sie keine Angriffsfläche böte. Auf der Bühne rennt sie von einem Ende zum anderen, greift zum Banjo, bearbeitet das umgehängte Midi-Keyboard, nur um gleich darauf einem Laptop anstrengende Distortion-Orgien zu entlocken. Kabarettartig verbindet sie ihre Stücke miteinander, baut absichtlich Fehler ein und verpatzt gekonnt den abschließenden Stuhltanz, zu dem sie „Private Dancer“ intoniert: „Wenn ich daheim in San Francisco aufgetreten bin, haben mich viele Leute komisch angeschaut. In Interviews fragten sie mich, ob mir meine Auftritte nicht peinlich wären. Und ich stehe da und sage: Das bin ich! Ist es mir peinlich, ich zu sein?“

Ihren neuen Wohnsitz Berlin hat sie den Folgen des Tschetschenienkrieges zu verdanken: Als während ihrer Europatournee die Auftritte in Moskau wegen der Theater-Geiselnahme abgesagt wurden, luden sie Freunde nach Berlin ein. Hier fühlte sie sich sofort zu Hause, während sie sich in Amerika „wie ein Freak“ vorkam: „Ich hatte keine sonstigen Verpflichtungen und bin einfach hier geblieben. Vor allem wegen der vielen Leute, mit denen ich mich sofort verbunden fühlte. Es gibt eine extrem inspirierende künstlerische Szene und eine Menge starke Frauen hier.“

Frauen wie die Chicks on Speed, ihre frisch gebackenen Label-Chefinnen, auf deren gleichnamigem Label dieser Tage ihr Solodebüt „Bitches without Britches“ erschien. Sollte sie nur annährend so viel Erfolg haben wie ihre Chefinnen, dürfte ihre Grundnahrungsmittelversorgung („Nur Kaffee!“) langfristig gesichert sein, zumal Kevin Blechdom einräumt, noch nie so viele Zugeständnisse an den Pop-Fan in sich gemacht zu haben. „Früher habe ich gar keine Songs gemacht, nur abgefuckte Geräusche und sehr abstrakte Sachen. Selbst meine Freunde konnten nichts damit anfangen, es war ihnen zu experimentell. Für mich ist „Bitches without Britches“ gerade so viel Pop, wie mir möglich ist.“

Auch wenn sie damit noch lange kein Mainstream-Produkt abgeliefert hat – zu groß sind die Einflüsse von Idolen wie Royal Trux oder die durch Gebärmutter-Peep-Shows berühmt gewordene Performerin Annie Sprinkle – es bleiben immer noch genug ihrer Refrains auf Tage im Ohr hängen. Sie selbst bezeichnet ihren mit feministischer Pornografie und Fun-Sex aufgeladenen Elektropop derzeit als „Electronic Country Music“. Eine Musik, die ihren Ursprung trotz allen Popappeals nicht zuletzt Kevin Blechdoms Universitätsausbildung verdankt. Mit Begeisterung erzählt sie von ihrem Studium am Mills College, einer Musikhochschule für Frauen in Kalifornien und, wie sie versichert, einer Oase für Frauen in der computergenerierten Musik.

Und da regt sie sich dann wieder, die Feministin in Kevin Blechdom, die an all die talentierten Frauen denken muss, die niemals die Chance bekamen, wie sie ein Album aufzunehmen: „Wo ist der Bruch, wo sind sie alle? Ich denke, wenn du erst eine gute CD hast, dann bringst du sie auch unter die Leute. Aber das Problem vieler Frauen ist, dass sie nicht daran glauben, eine CD machen zu können! Es fehlt das Selbstbewusstsein. Ich sage den Frauen immer: Du kannst das, es ist gar nicht so schwer!“

Heute, 21 Uhr, mit Angie Reed und Jamie Lidell, Maria am Ufer, An der Schillingbrücke, Friedrichshain